16. Mai 2018, 13:51 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
Rede von Oberbürgermeister
Frank Baranowski
- Es gilt das gesprochene Wort –
GE. Vielen Dank für die Gelegenheit, noch einmal ein paar Worte an Sie zu richten! Ich hatte ja schon vorhin bei der Kundgebung kurz die Chance dazu, aber in dieser aufgewühlten Situation gibt es einfach noch mehr zu sagen. Da hat man das Bedürfnis, ein paar Dinge auszusprechen, die man so im Alltag vielleicht gar nicht so deutlich aussprechen müsste. Und jetzt ist nun mal nicht Alltag. Leider nicht.
Darum will ich jetzt eines sehr klar und sehr deutlich sagen: In dieser kritischen und schwierigen Situation steht die gesamte Stadt Gelsenkirchen an Ihrer Seite und unterstützt Sie, wo das nur möglich ist! Und das betrifft nicht nur mich, das ist nicht allein die Haltung der Stadt- und Verwaltungsspitze, nein, das zieht weitere Kreise – das geht über fast alle politischen Linien hinweg und umfasst die gesamte Stadtgesellschaft! Es gibt da einen klaren Konsens aller demokratischen Gruppierungen!
Morgen beispielsweise wird der Rat der Stadt Gelsenkirchen tagen.
Natürlich werden da viele für die Stadt wichtige Punkte diskutiert und beschlossen. Aber als aller erstes werden wir uns mit dem beschäftigen, was für die Stadt in diesen Tagen das Wichtigste ist. Die Rettung von 500 Arbeitsplätzen!
Und man braucht kein Prophet zu sein, um schon heute sagen zu können: Der Rat der Stadt wird eindeutig und unmissverständlich Position beziehen. Er wird eine klare Forderung an die Unternehmensführung richten. Und die wird genau so lauten, wie es nötig ist – und wie es heute schon mehrere ausgesprochen haben: Verzichten Sie auf die Schließung dieses funktionierenden und leistungsfähigen Werkes! Überdenken und revidieren Sie diese Entscheidung – zum Wohle der Beschäftigten, ihrer Familien – und auch zum Wohle Ihres Unternehmens!
Warum es diese Einigkeit gibt? Ganz einfach deshalb: Weil es dem Rat der Stadt, weil es den 66 Stadtverordneten und mir nicht egal ist, was aus den über 500 Beschäftigten und ihren Familien wird! Weil uns nicht egal ist, was mit industriellen Arbeitsplätzen in dieser Stadt und der Region wird! Weil uns nicht egal ist, ob in Deutschland noch industriell gefertigt wird oder nur noch im Ausland! Und vor allem weil das, was unseren „Leuten“ hier passiert, uns einfach nicht kalt lässt!
Nun ist es ja leider nicht so, dass es hier an der Freiligrathstraße zum ersten Mal zu Turbulenzen kommt. Unter dem früheren Eigentümer hat dieser Standort immer wieder von sich reden gemacht hat. Sie alle wissen das, viele haben es ja auch selbst erlebt, so lange ist das zum Teil noch nicht her. Ich jedenfalls habe als Oberbürgermeister schon an mehreren Krisensitzungen und Mahnwachen bei TRW teilgenommen. Gerüchte gab es immer mal wieder. Und dennoch ging es immer weiter. Warum? Weil die Belegschaft sich ins Zeug gelegt hat. Weil Sie für Euer Werk gekämpft haben. Weil Sie für diesen Kampf auch Härten hingenommen haben. Weil Sie an Kostenreduzierungs-Programmen teilgenommen haben. Weil ihr über Jahre auf 14 Prozent Eures Lohns verzichtet habt.
Aber man muss auch ehrlich sein: All dieser Einsatz, der hat sich am Ende nur deshalb bezahlt gemacht, weil selbst TRW, weil selbst dieses von Finanzinvestoren getragene Unternehmen schließlich diesem Standort und seinen Beschäftigten eine faire Chance gegeben hat!
Und genau diese faire Chance erwarte ich nun auch von ZF. Dieses schwäbische Traditionsunternehmen mit langer Unternehmenskultur – das muss das doch ebenfalls leisten können! Es wäre doch sehr bitter, wenn genau dieses Unternehmen nun hinter die Heuschrecken zurückfallen würde – und das sehenden Auges, mit voller Absicht! In einer Situation, wo der Konzern kürzlich erst einen Rekordumsatz gemeldet hat – und obendrein einen gestiegenen Gewinn vor Steuern, trotz höherer Ausgaben für Forschung und Entwicklung!
Und ich höre auch von Arbeitnehmervertretern, dass es deutlich andere Signale von der Unternehmensseite an die Belegschaft gegeben hat.
Ich muss sagen: In meinen Kopf geht das nicht zusammen! Ich habe da wenig, nein, ich habe da kein Verständnis für!
In Schwaben sieht man sich ja gern als die berühmte schwäbische Hausfrau, die fleißig ist und das Geld zusammenhält. Und dass Unternehmen auch aufs Geld schauen, das ist ja in Ordnung. Zumal ja, wie vorhin schon gesagt, in der Automobilbranche vieles im Umbruch ist. Keiner übersieht die Unsicherheiten, mit denen ein Konzern wie ZF zu tun hat.
Aber zur schwäbischen Hausfrau gehört dann eben auch das: Sie kümmert sich um ihre Töchter. Sie lässt sie nicht hungern. Sie hilft ihnen und sie gibt ihnen eine faire Chance. Und ZF Gelsenkirchen ist nun so eine Tochter. Und ZF Friedrichshafen darf diese Tochter nicht so einfach im Regen stehen lassen!
Und das ist nun meine Erwartung an den neuen Vorstandsvorsitzenden von ZF in Friedrichshafen, an Herrn Scheider: Geben Sie dem Werk in Gelsenkirchen und den Beschäftigten eine faire Chance! Halten Sie sich an die Zusage, dass bis Jahresende – und nicht nur bis Mitte Mai – ernsthaft an Lösungen für den Standort gearbeitet wird! Öffnen Sie diese Tür!
Denn sage mir niemand, dass sich nicht auch Unternehmensführungen täuschen und korrigieren können. Siemens ist doch das beste Beispiel: Erst wird die Schließung des Standortes Görlitz verkündet – übrigens trotz Gewinnen in Millionenhöhe – und nun kommt die berechtigte Korrektur, der Standort bleibt erhalten, obwohl vorher alle verzweifelt waren. Es geht doch! Und niemandem ist dabei eine Zacke aus der Krone gebrochen. Niemand hat da sein Gesicht verloren. Im Gegenteil, alle haben gewonnen, die Beschäftigten am Standort, der Konzern, der am Ende eine unternehmerisch richtige Entscheidung getroffen hat. Nein, es ist keine Schande, einen solchen Plan zu verwerfen.
Es ist keine Schande, und darum sage ich: Was Siemens kann, das sollte auch für ZF möglich sein. Darum meine Bitte: Herr Scheider, geben sie ZF Gelsenkirchen, geben Sie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an diesem Standort eine faire Chance! Schauen Sie auf die Qualitäten des Standortes und der Beschäftigten, die für ihr Werk kämpfen – und lassen Sie es zu, dass hier weiter an der Zukunft gearbeitet wird!
Glück auf!