28. September 2017, 14:51 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
Kolumne von Oberbürgermeister Frank Baranowski
Liebe Gelsenkirchenerinnen, liebe Gelsenkirchener!
Gelsenkirchener Stadtpolitik und Stadtentwicklung ist das Thema meiner Kolumne. Deshalb hatte ich auch nicht vor, an dieser Stelle das Ergebnis einer Bundestagswahl zu kommentieren. Bis jetzt. Bis zu diesem Wahltag. Doch nach dieser Wahl kann ich nicht einfach wieder zur Tagesordnung übergehen. Denn dieses Wahlergebnis, das spüren wir alle, wirft drängende und unbequeme Fragen auf. Fragen, die uns alle angehen.
Diese Bundestagswahl war zu einem nicht geringen Maß eine Protestwahl. So wurde es im Vorfeld gesagt und auch schon am Wahlabend kommentiert. Schaut man auf das Resultat, leider auch und gerade in unserer Stadt, dann muss man festhalten: Ein nennenswerter Teil der Gelsenkirchener Bevölkerung hat in der Tat protestiert. Warum? Offenkundig deshalb, weil sich viele Menschen in dieser Gesellschaft nicht angesprochen und mitgenommen fühlen. Weil sie Angst haben, ihre eigene Lebenswirklichkeit nicht mehr gestalten zu können.
Das ist ein harter Befund, keine Frage. Das ist eine Erkenntnis, die mich nachdenklich stimmt, auch wenn ich natürlich schon länger spüre, dass es zusehends schwieriger wird, wirklich alle Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt für ein Gespräch über ihr Gemeinwesen zu gewinnen. Diese Erkenntnis nehme ich sehr ernst. Und die sollten wir möglichst auch dann nicht aus den Augen verlieren, wenn sich bei einer der nächsten Wahlen vielleicht die Stimmen wieder anders verteilen sollten.
Viele Wähler haben für eine Partei gestimmt, von der sie keine Antwort auf ihre Probleme zu erwarten haben. Sie haben ihre Stimme einer Partei gegeben, die sich mit der Lebenswirklichkeit im Ruhrgebiet nicht im Geringsten auseinandersetzt und auch keinerlei Lösungen auf konkrete soziale Probleme anbietet. Oder haben Sie etwa praktikable Vorschläge auf die dringlichen Fragen von neuer Beschäftigung, von Bildung, Stadterneuerung oder kommunalen Finanzen vernommen?
Was mich aber noch mehr stört und sogar richtiggehend wütend macht: Diese Partei wünscht auch keine Lösungen für die konkreten Sorgen der Menschen. Ganz im Gegenteil. Sie arbeitet vielmehr daran, diese Sorgen zu verschärfen. Sie will, so muss man ihre Äußerungen verstehen, diese Gesellschaft spalten. Sie will Einzelne ausgrenzen und ganze Gruppe gegeneinander aufbringen, sie will das gute und friedfertige Miteinander von Menschen aufs Spiel setzen. Sie will gerade das Gespräch über unser Gemeinwesen – zwischen Bürgerinnen und Bürgern, zwischen Bürgern und der Politik – torpedieren.
Es handelt sich also weniger um einen Protest, ob gut oder weniger gut artikuliert, sondern eher um einen Angriff auf unser Gemeinwesen. Das aber kann und darf niemand kalt lassen. Mich als Oberbürgermeister und Vorsitzender der Demokratischen Initiative schon mal gar nicht, darum sage ich in aller Deutlichkeit: Für völkisches Denken und Agitieren ist in unserer Stadt und in unserer Gesellschaft kein Platz! Dem werden wir uns mit aller Entschlossenheit entgegen stellen!
Eine klare Kante gegenüber Rechtspopulisten und Rechtsextremen ist nötig und unabdingbar. Allerdings wird es damit nicht getan sein. Es braucht noch etwas anderes. Unsere Antwort auf diese Wahl muss umfassender ausfallen: Wir müssen künftig noch stärker Sorge tragen dafür, dass unsere Gesellschaft nicht gespaltet wird, egal ob durch wirtschaftliche oder gesellschaftspolitische Gründe. Wir müssen uns mit aller Kraft dafür einsetzen, dass unsere Stadtgesellschaft nicht auseinanderdriftet, dass sich möglichst alle Menschen in dieser Gesellschaft auch wahrgenommen fühlen, anerkannt als wichtiger Teil unseres Gemeinwesens – und mitgenommen bei Veränderungen.
Das ist zuerst die Aufgabe der Politik. Das ist die gemeinsame Aufgabe aller demokratischen Parteien, insbesondere der Stadtpolitik. Aber auch die Bundespolitik sollte jetzt vielleicht ein bisschen besser verstanden haben, was wir schon lange sagen und fordern: Kommunen brauchen Mittel, um stadtpolitische Probleme selbst zu lösen!
Demokratie beginnt auf der lokalen Ebene. Und auf dieser Ebene muss erfahr- und erlebbar sein, was Demokratie bewirken kann. Nur dann funktioniert unsere Demokratie. Wenn wir den Bürgerinnen und Bürgern immer wieder sagen müssen, dass wir Schulen nicht sanieren können, weil uns das Geld dafür fehlt, während andernorts Rekordüberschüsse erzielt werden, dann schafft das natürlich Verdruss. Und wenn Schulklassen aufgrund von Zuwanderung immer größer werden oder voneinander getrennt und neu zusammengesetzt werden müssen, dann ist das nicht optimal.
Ja, die demokratischen Parteien und Politiker müssen besser werden, sie müssen näher bei den Menschen sein. Wir müssen der Stadt und ihren Bürgern zeigen, dass wir es sind, die sich um ihre Probleme kümmern. Wir müssen Gesprächsfäden aufnehmen, die zuletzt leider zu oft ins Leere gelaufen sind.
Aber die Mahnung, die in diesem Wahlergebnis steckt, richtet sich nicht allein an die Politik. Schließlich ist mit diesem Votum eine grundlegende Frage aufgeworfen. Es geht um die Frage, wie wir zusammenleben wollen, wie wir miteinander umgehen.
Es liegt an uns allen, die richtige Antwort zu geben. Es liegt mit an unserem täglichen Verhalten und an unserer Haltung. Es liegt an uns allen, ob und in welcher Weise wir Verantwortung übernehmen. Wir müssen uns einsetzen für ein Gemeinwesen, in dem wir miteinander reden und nicht übereinander schimpfen. Ein Gemeinwesen, in dem wir bereit sind, uns auszutauschen, auch über unterschiedliche Lebensumstände und politische Positionen hinweg. Nur dann funktioniert unser Gemeinwesen.
Ich habe es schon mehrfach gesagt: Wir in Gelsenkirchen haben schon viele Umbrüche überstanden, wir haben schon so manche schwierige Situationen gemeistert, an der andere Städte möglicherweise zerbrochen wären. In diesen schwierigen Momenten haben wir immer wieder Zusammenhalt und Solidarität bewiesen – und die Fähigkeit zu neuen, kreativen Lösungen. Ich wüsste nicht, warum das jetzt anders sein sollte. Darum ist es gut, dass auch Sie den Schreck über diesen Ausgang der Bundestagswahl als Ansporn verstehen, um über Ihren und unseren Beitrag zu unserer Stadtgesellschaft nachzudenken!
Ihr
Frank Baranowski