21. August 2017, 14:12 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
Kolumne von Oberbürgermeister Frank Baranowski
Liebe Gelsenkirchenerinnen, liebe Gelsenkirchener!
Geht es Ihnen nicht auch so: Mit den Jahren hat man so viel erlebt, gehört, gesehen, dass man glaubt, so leicht wird einen nichts mehr überraschen. Und dann passiert es doch wieder. Ja, ich muss es einfach so sagen: Dass die neue Landesregierung ihre bereits gemachte Zusagen beim Thema „Sozialer Arbeitsmarkt“ tatsächlich zurückzieht, dass sie die betroffenen Menschen bei diesem Thema wieder allein lässt – das habe ich nicht erwartet. Und es macht mich einfach fassungslos.
Keinem Gelsenkirchener erzähle ich etwas Neues: Arbeitslosigkeit ist nach wie vor das Problem schlechthin im gesamten nördlichen Ruhrgebiet, auch in unserer Stadt. Und genauso klar ist inzwischen auch für jeden, der sich einigermaßen ernsthaft und aufrichtig mit dem Thema befasst hat: Einfache Lösungen gibt es nicht. Seit gut einem Jahrzehnt schaffen wir in Gelsenkirchen pro Jahr rund tausend neue Arbeitsplätze, wie das Landesdatenamt IT.NRW dokumentiert. Dennoch sinkt die Arbeitslosenquote nur noch in ganz kleinen Schritten. Warum? Weil wir ganz offensichtlich einen hohen Anteil an langzeitarbeitslosen Menschen haben, deren Qualifikation auf dem Arbeitsmarkt heute nicht mehr so nachgefragt werden. Hätten diese Menschen auf dem so genannten Ersten Arbeitsmarkt eine echte Chance, dann hätten sie angesichts der gegenwärtig sehr guten Konjunkturlage eine Stelle gefunden. Haben sie aber nicht.
Diese Tatsache muss man zur Kenntnis nehmen, wenn man über Arbeitsmarktpolitik in Gelsenkirchen spricht. Die Voraussetzungen im nördlichen Ruhrgebiet lassen sich einfach mit denen in Gütersloh oder im Hochsauerland nicht vergleichen. Hier weitere Fortschritte auf dem Ersten Arbeitsmarkt zu schaffen, ist alles andere als leicht. Es ist nicht bloß eine Frage des guten Willens. Ich wäre froh, wenn es so einfach wäre.
Auf Basis all dieser Erfahrungen haben wir gesagt: Wir müssen in unserer Stadt auch etwas für diejenigen etwas tun, die schon länger ohne Arbeit sind. Wir müssen ihnen wieder Perspektiven aufzeigen, ihnen Chancen vermitteln, sie an die Arbeitswelt heranführen. Das ist wichtig, vor allem aus menschlichen Gründen, denn es ist einfach wichtig, Teilhabe an dieser Gesellschaft zu ermöglichen. Deshalb gab es den Gelsenkirchener Appell zugunsten eines „Sozialen Arbeitsmarktes“, den ganz unterschiedliche Parteien und gesellschaftliche Gruppen unterschrieben haben. Ich erinnere gerne daran: Ein so breites Bündnis einer gesamten Stadtgesellschaft schließt sich in der Regel nur für sehr wichtige Themen zusammen.
Wir haben diesen Appell wieder und wieder bei Land und Bund vorgetragen, wir haben uns ohne Unterlass dafür eingesetzt, etwas für die Gelsenkirchener Langzeit-Erwerbslosen tun zu können. Wir haben richtiggehend gekämpft. Und schließlich hat die inzwischen ausgeschiedene Landesregierung ein solches Programm ermöglicht. Wir waren froh, endlich etwas erreicht zu haben.
Die Mittel dafür stehen noch im Landeshaushalt für dieses und das nächste Jahr. Mit anderen Worten: Das Geld ist da. Zudem liegt ein sehr gutes Konzept vor, das wir mit vielen Partner in der Stadt erarbeitet haben und das 200 Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchener eine echte Hilfe sein könnte, womöglich ein Wendepunkt im Leben.
Daraus wird nun leider nichts. Daraus wird nichts, obwohl wir klare Zusagen hatten, obwohl auch die neue Landesregierung anfangs andere Signale ausgesandt hat. Ganz offensichtlich will jemand die echten Problemlagen bei uns nicht wahrnehmen. Es spricht ja nichts dagegen, den Ersten Arbeitsmarkt zu stützen. Aber viele Frauen und Männer bei uns warten auf eine andere Chance. Und dass diese Hoffnungen nun so bitter enttäuscht werden, das ist nicht nur arbeitsmarktpolitisch, sondern auch menschlich ein fatales Signal.
Ihr
Frank Baranowski