02. Februar 2017, 15:59 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
Rede von Oberbürgermeister Frank Baranowski
- Es gilt das gesprochene Wort! -
Sehr geehrte Frau Neuwald-Tasbach,
sehr geehrter Herr Dr. Schuster,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
das Jahr ist noch jung, doch schon jetzt fällt auf: Es ist ein Jahr der Jubiläen. Gerade hier in Gelsenkirchen, gerade in den Gelsenkirchener Religionsgemeinschaften. Der Evangelische Kirchenkreis feiert das Reformationsjahr, ein großes, tief in die Geschichte hineingreifendes Jubiläum. Und auch die Jüdische Gemeinde feiert einen Jahrestag – der zwar numerisch gesehen ein gutes Stück bescheidener ausfällt, der aber dennoch ein außergewöhnlicher und wirklich bemerkenswerter ist.
Ja, wir feiern heute den kleinsten runden Jahrestag, obwohl wir doch alle wissen: Zehn Jahre sind noch kein besonderes Alter für ein Haus des Gebetes, für eine Synagoge. Und trotzdem steht völlig außer Zweifel, dass das richtig ist. Dass dies ein Datum ist, das gefeiert werden sollte. Denn was hinter diesen Ziffern steht, das hat sehr viele Menschen bewegt, innerhalb der Jüdischen Gemeinde wie auch außerhalb. Auch mich.
Ein Grund dafür ist, dass ich mich – wie viele andere Gelsenkirchener auch – noch sehr gut erinnern kann, wie zunächst nur die Idee für den Bau einer neuen Synagoge in Gelsenkirchen kursierte. Wie wir uns dann – angetrieben vom unermüdlichen und geschickten Einsatz von zunächst ganz wenigen engagierten Bürgern und vor allem Bürgerinnen - für diese Idee begeistert haben, wie sie dann immer mehr Unterstützer gefunden und schließlich Gestalt angenommen hat. Wie am Ende dieses so schöne und würdevolle Gebäude entstanden ist, das der Gelsenkirchener City gut tut.
Noch wichtiger ist aber natürlich etwas Anderes, ist die tiefere Ebene dieser Geschichte. Wir schauen heute mit Freude auf die Eröffnung dieser Synagoge vor zehn Jahren zurück, weil eines klar ist: Diese Synagoge ist kein Anbau an einer bereits bestehenden. Sie war auch keine Erneuerung eines baufälligen Gebäudes. Nein, sie war und ist deshalb eine Neue Synagoge, weil es hier mitten in der Gelsenkirchener City einmal eine Synagoge gab, aber dann sehr lange nicht, über 68 Jahre nicht. Darum muss man sagen: Diese Neue Synagoge, errichtet am Standort der alten, der früheren, der von den Nazis zerstörten – sie füllte eine Leerstelle, die sich über viele Jahrzehnte auftat!
Die Herrschaft der Nationalsozialisten und die Taten des NS-Mobs haben auch in unserer Stadt vielen Menschen das Leben gekostet, sie haben Spuren jüdischen Lebens vernichtet, unwiderruflich.
Und doch dürfen wir sagen: Selbst auf diesem Gebiet haben die Nazis letztlich nicht gesiegt, hat der Hass nicht gesiegt. Denn nach dem Krieg sind tatsächlich Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens aus den Lagern wieder zurückgekehrt. Menschen wie Kurt Neuwald, nach dem dieser Saal benannt ist, wie Robert Jessel und Siegfried Heimberg, um nur wenige Namen zu nennen – jüdische Frauen und Männer sind zurückgekehrt, in diese Stadt, in dieses Land, das ihnen und ihrer Familie so viel angetan hat – und haben wieder ein neues jüdisches Leben begründet. Sie haben diese Stadt nicht den Tätern überlassen. Für diese Größe, für diese Bereitschaft zur Versöhnung müssen wir ihnen noch heute dankbar sein!
Nur durch diese Bereitschaft wurde es möglich, dass es weiter jüdisches Leben in unserer Stadt gab; dass die jüdische Gemeinde dann auch neue Mitglieder aufnehmen konnte; dass die Neue Synagoge Heimat einer lebendigen jüdischen Gemeinde wurde. Und an dieser Stelle möchte ich auch gern an Fawek Ostrowiecki erinnern, der sich hier große Verdienste erworben hat!
Wenn wir nun also heute den Jahrestag der Eröffnung dieser Synagoge feiern, dann ist das ein Tag der Freude. Daran gibt es keinen Zweifel. Und diese Freude möchte ich auch nicht schmälern mit Hinweisen auf aktuelle gesellschaftliche und politische Entwicklungen, in den USA, auch in Deutschland, die mir Sorge bereiten.
Aber wir alle spüren, dass wir erneut vor großen Herausforderungen stehen. Dass wir in Deutschland in den vergangenen Jahren vieles erreicht haben, das es aber nun zu verteidigen gilt. Wir müssen uns immer wieder neu für religiöse Vielfalt und Toleranz einsetzen. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass jede neue Generation und auch jeder zu uns Zugewanderte die notwendigen Lektionen aus der deutschen Geschichte lernt. Wir müssen uns den Parolen der Rechtspopulisten und Rechtsextremen entgegenstellen.
Doch selbst und gerade vor diesem Hintergrund möchte ich sagen: Ich bin froh, dass es diese Synagoge gibt; dass wir in Gelsenkirchen eine sichtbare Jüdische Gemeinde haben und eine Neue Synagoge an so prominenter Stelle! Und darum gratuliere ich ganz herzlich, allen Gemeindemitgliedern, für dieses in Zahlen zwar kleine, aber doch bedeutende Jubiläum!
Der Neuen Synagoge, der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen und Ihnen allen mein ganz herzliches Glück auf!