01. Oktober 2015, 16:00 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
Rede von Oberbürgermeister
Frank Baranowski
- Es gilt das gesprochene Wort -
Meine sehr geehrten Damen und Herren Stadtverordnete,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
es sind dramatische Entwicklungen, die sich in den vergangenen Wochen und Monaten abgespielt haben – und die sich wohl auch, davon müssen wir ausgehen, noch in diesem Moment abspielen. Tausende und abertausende Menschen, deren Existenzgrundlagen zerstört wurden, deren Staat ihre Sicherheit nicht mehr gewährleistet, die in ihrer Heimat keine Perspektive mehr sehen oder aber zwischen Assad und dem IS schlicht nicht mehr leben können – sie alle haben sich auf einen gefahrenvollen und beschwerlichen Weg begeben, um dorthin zu kommen, wo sie auf Schutz und Asyl hoffen.
Und diese dramatischen Entwicklungen, die finden für uns nicht mehr nur allabendlich in der Tagesschau statt. Sie spielen sich so deutlich wie kaum je zuvor direkt vor unserer Haustür und in unserer Stadt ab. Das Weltgeschehen, das wissen Sie alle, meine Damen und Herren, bestimmt im Moment sehr deutlich unser Stadtgeschehen. Und dabei sind wir nicht mehr nur unbeteiligte Zuschauer. Wir sind als Akteure gefragt. Von uns allen hängt es nun ab, ob Menschen, die vor Grausamkeit und Verfolgung fliehen, ein sicheres Obdach bekommen.
Und so wichtig es ist, dass Verfolgte Schutz und Asyl finden; so selbstverständlich ist es, dass wir Flüchtlinge aufnehmen: Uns allen ist bewusst, dass wir jetzt vor einer großen Aufgabe stehen. Das, wozu uns unsere moralischen Grundsätze und unser Rechtssystem verpflichten – das ist in der Praxis eine echte Herausforderung. Es ist eine der größten Herausforderungen der letzten Jahre und Jahrzehnte. Zumal sich diese Herausforderung nicht nur kurzfristig stellt. In den nächsten Wochen und Monaten werden weitere Flüchtlinge kommen, nicht wenige mit einer realistischen Bleibeperspektive. Für uns in Gelsenkirchen, in einer Stadt, in der seit jeher sehr viele Menschen einen Migrationshintergrund haben, heißt das: Wir werden uns in der nächsten Zeit sehr umfassend um die Aufnahme, aber auch um die Integration der geflohenen Menschen kümmern müssen!
Die vor uns stehende Doppelaufgabe von Unterbringung und Integration, sie wird eine echte Kraftprobe. So unumgänglich diese Einsicht ist, so muss ich doch sagen: Ich hätte diesen Satz gerne schon früher gehört, vor einigen Monaten, aus Berlin oder Brüssel – verbunden mit einer Zusage von finanzieller Unterstützung und klaren Abläufen. Stattdessen wurde die Prognose der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge bis in den August hinein bei 400.000 eingefroren, ehe sie schließlich von einem Tag auf den anderen auf 800.000 verdoppelt wurde, nur um bald darauf auf eine Million korrigiert zu werden. In dieser Fehleinschätzung – oder vielleicht besser gesagt: in dieser Sprunghaftigkeit, da wird für mich der Unwille der Bundespolitik deutlich, sich frühzeitig auf die neue, unbequeme Situation einzustellen. Und das möglicherweise im Vertrauen darauf, dass am Ende die Kommunen dieses Versäumnis schon abfedern werden...
Der Unwille, sich auf diese Situation rechtzeitig einzustellen – den können sich die Kommunen nicht leisten. Den wollen wir uns in Gelsenkirchen ganz sicher auch nicht leisten. Wir wissen sehr genau, dass wir noch viel zu tun haben, dass es mit dem Bettenaufstellen in der Emscher-Lippe-Halle längst noch nicht getan ist! Wir stellen uns darauf ein, dass uns das Thema „Flüchtlinge“ nicht nur in diesem Herbst beschäftigt. Darum schaffen wir jetzt die nötigen Strukturen, die wir mittelfristig für unsere Arbeit brauchen. Wir passen einige Strukturen in der Verwaltung der neuen Situation an.
Meine Damen und Herren,
wir befinden uns gegenwärtig in einer Situation, in der so mancher Politiker vor kurzem die wohlfeilen Worte gesagt hätte: Wir wollen jetzt ganz unbürokratisch helfen! Für solche Sätze hat es in den vergangenen Jahren ja stets Applaus gegeben – fast genauso verlässlich wie für die Forderung nach Bürokratieabbau. Dabei ist es in Wahrheit doch gerade anders herum: Wir können derzeit in Deutschland deshalb so rasch helfen, weil wir, trotz aller Sparrunden und trotz allen „Privat-vor-Staat-Gerede“, immer noch eine leistungsfähige Verwaltung haben! Weil wir eine Bürokratie haben, die zügig und klar handeln kann, weil sie mit öffentlichem Mandat und nach bewährten Regeln handelt! Tatsächlich haben wir gerade eine Situation, in der wir sehr froh sein müssen, dass bei allem Spardruck der Bürokratieabbau doch nicht so weit vorangeschritten ist, wie manche das beabsichtigt haben!
Denn eins ist doch klar: Wir brauchen einen starken Staat, wir brauchen leistungsfähige Kommunen! Deswegen fordern wir so nachdrücklich gegenüber Bund und Land die aufgabenangemessene Finanzierung. Auch die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels - das sage ich noch einmal sehr deutlich - ist nur ein erster wichtiger Schritt.
Zurück zur örtlichen Situation: Unsere Stadtverwaltung muss sich für die vor uns liegenden Aufgaben auch verändern. Die erste Maßnahme dieser Strategie kennen Sie: Wir haben in der Stadtverwaltung eine Stabsstelle eingerichtet, die die Arbeit all der Referate und Abteilungen koordiniert, die in der Verwaltung mit dem Thema „Flüchtlinge“ zu tun haben. Die neue Stabstelle soll zudem für einen möglichst reibungslosen Kommunikationsfluss und Arbeitsablauf sorgen und die Zusammenarbeit mit den freien Trägern und bürgerschaftlichen Gruppen organisieren. In einer Zeit, in der sich geordnete Abläufe und Routinen erst noch entwickeln müssen, ist das ein wichtiger Schritt.
Um perspektivisch planvoll, abgestimmt und systematisch handeln zu können, haben wir zudem ein Handlungskonzept erstellt, das wir nun heute einbringen. Dieses Handlungskonzept – das in relativ kurzer Zeit entstehen musste und das ganz sicher fortgeschrieben werden muss – dieses Handlungskonzept liefert einen Überblick über die Vielzahl an Maßnahmen, die wir in dieser Situation umsetzen können, angefangen von der Unterbringung bis hin zu Fragen der individuellen Förderung oder der Sicherheit.
Wir leisten damit in einer tendenziell unübersichtlichen Situation einen Beitrag zur Transparenz. Zur Transparenz gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, gegenüber den Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchenern, die ja in einer bemerkenswerten Weise Anteil am Thema „Flucht“ nehmen und eine große Hilfsbereitschaft gegenüber den Flüchtlingen demonstrieren – und die allein deshalb schon einen besondereren Anspruch auf Transparenz haben. Aber diese Transparenz soll uns natürlich auch helfen, Maßnahmen besser aufeinander abzustimmen und unsere Arbeit besser zu steuern. Es ist ein Fahrplan für unser weiteres Vorgehen.
Meine Damen und Herren,
in der aktuellen Situation ist vieles neu für uns, kaum etwas lässt sich derzeit mit Routinen beantworten. Und ich weiß sehr gut, dass zahlreiche Menschen in den vergangen Tagen und Wochen teilweise bis an die Belastungsgrenze oder auch darüber hinaus gearbeitet und dabei Großartiges geleistet haben – Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung, aber auch Private und freie Träger. Ich denke da nicht nur, aber auch an den Einsatz der Ehrenamtlichen des Roten Kreuzes und der Feuerwehr in den Notunterkünften, die wir für das Land in der Mehringstraße und in der Emscher-Lippe-Halle erstellt haben. Keine Frage: Wir sind allen ein großes „Danke schön!“ schuldig!
Da ist sehr beherzt ein guter Anfang geschaffen worden, an den wir anknüpfen können und wollen. Wer in Not nach Gelsenkirchen kommt, wer in Gelsenkirchen Hilfe braucht, der wird sie bekommen – diese Haltung, die von so vielen Menschen getragen wird, die wollen wir weiter unter Beweis stellen. Zugleich wollen wir aber auch jetzt die Weichen stellen, um die vor uns liegenden Aufgaben mittel- und langfristig möglichst gut zu bewältigen, ohne unsere sonstigen Herausforderungen und Aufgaben zu vernachlässigen – zum Besten der schutzbedürftigen Menschen wie auch zum Besten unserer Stadt!
Dafür bitte ich um Ihre Unterstützung! Vielen Dank und Glück auf!