14. März 2013, 15:13 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
- Es gilt das gesprochene Wort -
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
gut acht Jahre ist es her, dass wir in Gelsenkirchen so etwas wie einen Neuaufbruch gewagt haben. In der Absicht, in unserer Stadt die Seniorenpolitik nicht nur ein bisschen zu verbessern – sondern sie ein gutes Stück anders zu gestalten. Sie auf eine breitere Basis zu stellen und vor allem für Gelsenkirchener Bürgerinnen und Bürger ab 50, ab 60 oder 70 neue Türen zu öffnen.
Der erste öffentliche Schritt dazu war meiner Erinnerung nach die Zukunftswerkstatt „Älter werden in Gelsenkirchen“ im Jahr 2005. Eine Veranstaltung nicht von und für etablierte Fachleute – so wie wir ja die heutige Tagung angelegt haben. Sondern eine, die sich auch und gerade an Laien, an Betroffene, an bis dato Außenstehende wendete. Bei der erstmals ein Stein ins Wasser geworfen, ein Verfahren erprobt wurde, das dann tatsächlich weite Kreise gezogen hat.
Wir haben bei dieser Auftaktveranstaltung und den seit 2009 jährlich stattfindenden Konferenzen eine große Zahl an Vorschlägen und Anregungen zum Thema „Älter werden“ gesammelt. Und haben dann anschließend versucht – wo möglich und sinnvoll –, das Diskutierte tatsächlich umzusetzen. Zum einen mit Elementen, die es auch andernorts gibt, wie etwa die ZWAR-Gruppen, also Stadtteilgruppen für Menschen in der Übergangsphase nach dem Arbeitsleben.
Zum anderen haben wir hier bei uns gemeinsam ganz neue Ideen entwickelt wie die Seniorenvertreterinnen und Nachbarschaftsstifter. Eine Idee, die so gut ist, dass sie inzwischen in einigen Städten aufgegriffen wurde. Was Sie, meine Damen und Herren, ganz unbedingt als Kompliment für die hier bewiesene Kreativität verstehen sollten.
Und so ist hier in Gelsenkirchen etwas entstanden, das ich eigentlich kaum mehr oder allenfalls im Nebenaspekt als Seniorenpolitik bezeichnen möchte. Und was mit klassischer Fürsorge- und Sozialpolitik gerade mal am Rande zu tun hat. Entstanden ist vielmehr etwas Neues, ein bemerkenswertes Netzwerk des bürgerschaftlichen Engagements. Eine erstaunlich vielfältige und robuste Struktur, die älter werdenden Menschen ein aktiveres, geselliges und damit auch besseres Leben ermöglicht. Ein Unterstützungsangebot, das den Gelsenkirchener Frauen und Männern hilft, ihr Leben nach der Erwerbsphase selbst zu gestalten – und zugleich anderen dabei zu helfen, dies auch zu tun.
Das Leben nach der Erwerbsphase gut zu gestalten, das höre ich immer wieder, ist keineswegs für jede und jeden so einfach, wie man sich das vorher so ausmalt. Das kann eine richtige Herausforderung sein in einer Gesellschaft, in der sich fast alles um Erwerbsarbeit dreht. In der ja auch die Politik ständig bemüht ist, die Beschäftigtenquote zu heben und möglichst viele Menschen am Erwerbsleben zu beteiligen. Wofür aus ökonomischer Perspektive gewiss Manches spricht.
Zugleich sind damit Probleme verbunden, wenn wir diese Norm setzen und sie für immer mehr Menschen verbindlich machen. Wenn der Lebensrhythmus jahrzehntelang von Maschinenlaufzeiten und festen Arbeitszeiten vorgegeben wurde, dann ist es alles andere als einfach, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Und einfach ist es auch nicht, neue persönliche Kontakte aufzubauen – was jahrzehntelang nicht als nötig empfunden wurde, weil man ja die Kolleginnen und Kollegen hatte.
Es ist, wenn Sie so wollen, eine merkwürdige Lebenssituation: Man ist eigentlich noch jung, kann noch etwas bewegen – läuft aber Gefahr, sich selbst als alt wahrzunehmen und abzuschotten. Etwas dramatisch gesagt: In dieser Phase kann ein Leben kippen, entweder in ein eher isoliertes Leben – oder hin zu einer neuen Gemeinschaft, zu neuen sozialen Netzen, neuen Aufgaben.
Die Gelsenkirchener Ermöglichungsstrukturen sollen dazu beitragen, dass es in die richtige Richtung geht. Und tatsächlich haben viele Mitglieder in den ZWAR-Gruppen und auch etliche Nachbarschaftsstifter durch ihr Engagement im Gelsenkirchener Seniorennetz nicht nur interessante Menschen getroffen, spannende Tätigkeitsfelder kennen gelernt – sie haben manchmal sogar Potenziale in sich selbst entdeckt, die sie zuvor in all den Jahren und Jahrzehnten nicht kannten, weil sie dieses Ausmaß an Ermutigung bis dahin nicht erfahren haben.
Und wenn es uns gelingt, diese Strukturen weiter zu festigen, sie noch etwas – wo möglich und nötig – zu verbessern; wenn wir es schaffen, auch in Zukunft offen zu sein für unkonventionelle Vorschläge, dann haben wir eine Menge erreicht. Und vielleicht gelingt es uns heute ja, dafür noch ein paar wichtige Ideen zu sammeln. Ich wünsche uns allen eine spannende und produktive Tagung!
Glück auf!