01. Oktober 2015, 10:47 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
Wie war das, als die Menschen erfuhren, dass in der ehemaligen Hauptschule an der Mehringstraße eine Flüchtlingsunterkunft eingerichtet wird?
Die Schule wurde seit mehr als einem Jahr nicht mehr genutzt. Da war es schon überraschend und mit etwas Aufregung verbunden, als hier ein Bus mit Flüchtlingen vorfuhr. Aber das legte sich ganz schnell, als die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kommunalen Ordnungsdienstes die Anwohnerinnen und Anwohner informierten. Ich habe dann live erlebt, wie Verwaltung handelt und koordiniert. Wie zum Beispiel bei der Zusammenarbeit mit dem Deutschen Roten Kreuz. Innerhalb kürzester Zeit waren die Betten da und die Erstversorgung gesichert. Binnen weniger Stunden war die Unterkunft aus dem Hut gezaubert.
Ist das Thema Flühtlinge ein Thema für die St. Josef-Gemeinde?
Natürlich. Kirche ist ein Teil des Lebens im Stadtteil. Aber eben nur ein Teil. Wir handeln gemeinsam mit Vereinen, Verbänden und engagierten Einzelpersonen sowie der Politik. Eine wichtige Rolle spielt der Präventionsrat sowie der Runde Tisch des Stadtteils. Es gibt also verlässliche Strukturen der engen und verzahnten Zusammenarbeit im Stadtteil, auf die wir jetzt zurückgreifen können.
Als Kirche haben wir unsere Gebäude eingebracht, zum Beispiel als Kleiderkammer. Viele, die sich in der Gemeinde ehrenamtlich engagieren, tun dies auch hier. Und selbstverständlich ist es ein großes Thema in den Gottesdiensten. Da gibt es eine ganz einfache Botschaft. Auch wenn man unterschiedliche Sprachen spricht: Ein Lächeln heißt willkommen.
Was wird denn vor allem gebraucht?
Noch mehr als Kleidung, Spielzeug oder andere materielle Hilfen brauchen die Menschen den Kontakt nach Hause. Sie wollen wissen, wie es Verwandten geht, wie die Lage in der Heimat ist, oder sie versuchen auf der Flucht versprengte Menschen zu erreichen. Wir bieten daher den Menschen auch Zugang zum WLan unserer Kirchengemeinde an, so können sie kostenfrei ihre Smartphones nutzen. Das ist ja sozusagen ihr Tor zur Welt, damit halten sie Kontakt.
Bekommen Sie etwas mit von den Einzelschicksalen der Menschen?
Manchmal ja, vor allem natürlich von den Menschen, die zu uns in den Gottesdienst kommen. Da ist zum Beispiel ein Mann aus Eritrea. Ihm liefen während des Gottesdienstes immer wieder und wieder die Tränen über das Gesicht. Da er Englisch spricht können wir uns verständigen, und er erzählte mir, wie froh er ist, in Sicherheit zu sein. Aber was ihn bedrückt ist das Wissen, dass er wohl nie mehr in seine Heimat wird zurückkehren können. Er hat keine Hoffnung, dass das blutige Terrorregime in seiner Heimat überwunden werden kann. Dabei wünscht er sich nichts so sehr wie in die Heimat zurückkehren zu können. Bei den älteren Menschen unserer Gemeinde spült das Erinnerungen hoch. Kürzlich kam eine ältere Frau zu mir und erzählte, dass sie die ganze Situation an das Ende des Zweiten Weltkriegs erinnern würde, an die Zeit als sie selbst als Flüchtling nach Gelsenkirchen kam.
Und die Menschen im Stadtteil?
Von deren Reaktion bin ich überwältigt. Es gab und gibt eine große Hilfsbereitschaft. Die Barmherzigkeit der Menschen ist groß und zeigt sich bei den Spenden. Sei es Kleidung oder Spielzeug für die Kinder. In kürzester Zeit kam so viel zusammen, dass es fast unsere Kapazitäten sprengte. Natürlich gibt es auch Irritationen. In den südlichen Ländern ist es ganz normal, dass sich das Leben auch noch spät am Abend auf der Straße abspielt. Da ist von beiden Seiten Toleranz und Rücksichtnahme gefragt. Das wurde thematisiert, und es klappt ganz gut. Wenn es darüber hinaus einen persönlichen Kontakt zwischen den Menschen gibt, dann merkt wie so manches Vorurteil hinterfragt wird, wie die Vorbehalte und die Skepsis weniger wird, Darauf kommt es uns als Kirchengemeinde ja an, dass die Menschen aufeinander zugehen, sich begegnen.
Es heißt ja, dass der Sport verbinden würde. Direkt hinter der Schule ist ein Fußballplatz. Gab es schon mal ein Spiel gegen eine andere Mannschaft?
Ja, Sport, vor allem der Fußball, verbindet tatsächlich. Es lässt mal die Flucht, die schwierige Situation hier und das Verdammtsein zum Nichtstun vergessen. Es gab schon mehere Spiele gegen Borussia Scholven, bei denen alle ihren Spaß hatten. Fußball komt ohne Worte aus, da funktioniert die Verständigung auch so.
Hier treffen Menschen unterschiedlicher Religionen aufeinander. Ist das ein Problem?
Nein. Es ist ja auch nicht so, dass jeder Mensch moslemischen Glaubens streng gläubig ist. Das ist nicht anders als bei den Christen auch. Die Menschen drücken derzeit auch ganz andere Sorgen. Hier im Stadt pflegen wir durchaus den interreligiösen Austausch. Aber im Austausch mit den zu uns geflüchteten Menschen spielt er keine Rolle.
Niemand weiß, wie lange die Schule als Unterkunft gebraucht wird. Haben Sie keine Befürchtungen, dass die Stimmung kippen könnte?
Wenn es uns gelingt, eine Willkommenskultur zu leben, solidarisch zu sein und uns gegenseitig mit Respekt zu begegnen, dann habe ich keine Befürchtungen.