01. September 2009, 15:54 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
Sehr geehrte Frau Bolick,
heute auf den Tag genau vor 70 Jahren begann der Zweite Weltkrieg. Gar nicht mal so plötzlich, aber von vielen europäischen Nachbarn unerwartet, überfiel Hitler-Deutschland am 1. September 1939 Polen. Das war der Startschuss zu einem Krieg, wie ihn die Menschheit bis dahin nicht erlebt hatte. Den Ausgang kennen wir. Doch wie kam es dazu, dass die Wehrmacht unser Nachbarland angriff? Wie kam es dazu, dass Hitler die Macht an sich reißen konnte? Wie kam es dazu, dass Millionen Deutsche mitmarschierten statt zu protestieren?
Die meisten Historiker sind heute davon überzeugt: Die wirtschaftliche Situation in den 30er Jahren hat den Nährboden dafür gebildet, dass eine menschenverachtende Ideologie die Oberhand gewinnen konnte. Rechtsextremismus, Gewalt- und Schreckensherrschaft seien möglich geworden, weil es den Menschen in Deutschland wirtschaftlich schlecht ging. Vor diesem Hintergrund muss heute die Frage erlaubt sein: Stehen uns im Angesicht einer neuerlichen Wirtschaftskrise nun wiederum schlimme Zeiten bevor? Oder was ist anders als vor über 70 Jahren?
Keine Frage, die aktuelle Krise ist eine wirkliche Krise der Weltwirtschaft. Googelt man im Internet nach Weltwirtschaftskrise, so steht die der 1920er/30er Jahre noch ganz oben, doch schon an dritter Stelle schleicht sich die Krise an, die im Herbst 2008 begann. Aber obwohl wir in einer ernsten wirtschaftlichen Krise stecken, bin ich überzeugt, dass vieles heute ganz anders ist als in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Heutzutage besteht die Welt aus drei großen, starken Wirtschaftsräumen. Asien, Europa und der amerikanische Kontinent spielen eine selbstständige Rolle auf dem globalen Markt - freilich ohne dabei ihre Abhängigkeit vom Wachstum des jeweilig anderen zu verlieren. In der Krise vermochten es jedoch die Staaten, mit jeweils eigenen Programmen die Weltkonjunktur anzukurbeln. Und, was viel wichtiger ist: Trotz der Krise wurden und werden die sozialen Netze in Deutschland nicht wesentlich grobmaschiger oder gar aus Kostengründen ganz eingeholt. Auch wenn sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Sorgen machen müssen: Die eigene Existenz muss das nicht gefährden. Das ist die Grundlage dafür, dass auch unsere Demokratie noch auf sicheren Füßen steht.
Dass dies so ist, sollten wir alle nicht als Gott gegeben hinnehmen. Wir müssen die Demokratie täglich verteidigen und für sie kämpfen. Theodor Heuss fasste diesen Gedanken sehr schön zusammen: „Die Demokratie lebt von dir und mir. Sie stirbt von: ohne mich!" Genau deshalb müssen wir alle anpacken: für unsere Demokratie, für eine stabile Gesellschaft und für ein Leben ohne Krieg und Gewalt. Aber was können wir konkret tun, damit es nicht zu Konflikten kommt? Aus meiner Sicht gibt es derzeit mindestens drei Stellen, an denen wir anpacken müssen.
Da ist zum Beispiel die Gier einzelner Manager und Firmenchefs, der wir Einhalt gebieten müssen. Aktuelles Beispiel: Arcandor-Chef Karl-Gerhard Eick erhält für sechs Monate erfolgloser Arbeit satte 15 Millionen Euro Abfindung. Er erhält den Goldenen Handschlag während tausende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des insolventen Konzerns um ihre Arbeitsplätze bangen. Banken, die bis vor Kurzem noch am Fliegenfänger hingen und nur durch Milliarden vom Staat gerettet werden konnten, sind jetzt schon wieder fleißig dabei, üppige Boni zu verteilen. Das stößt nicht nur geprellten Anlegern, die teilweise ihre gesamte Altersvorsorge verloren haben, böse auf. Es spricht auch gegen alles, was wir als moralisch richtig und wichtig empfinden. Wenn diese Werte plötzlich in den Führungsetagen keine Rolle mehr spielen, lösen sich auch moralische Normen in der Gesamtgesellschaft langsam aber sicher auf. Die Folgen sind kaum absehbar.
Eine von ihnen ist, dass rechtsextreme Parteien und Gruppierungen immer mehr Zulauf erhalten. Das haben wir gerade erst bei der Kommunalwahl erleben müssen. Pro NRW wird künftig in Fraktionsstärke im Rat sitzen und weiter mit dumpfen Parolen enttäuschte Menschen hinter sich scharen. Das ist ein zweiter Bereich, in dem wir aktiv bleiben müssen. Wir müssen gegen Rechts aufstehen und argumentieren und auch Alternativen aufzeigen.
Dazu gehört als dritter Punkt, dass wir uns darum kümmern, möglichst viele Menschen in Lohn und Brot zu bringen. Das muss doch unser Anspruch sein. Wir dürfen nicht darüber reden, ob nun drei oder vier oder angesichts der Krise auch fünf Millionen Arbeitslose ein Erfolg sind. Maßstab muss sein, dass möglichst alle Frauen und Männer in Arbeit kommen. Wer als Politiker keine Vollbeschäftigung anstrebt, der verdient es auch nicht, gewählt zu werden. Verdient, gewählt zu werden, hat, wer einen Plan mitliefert, wie man möglichst viele neue Arbeitsplätze schafft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
meine Damen und Herren,
an einem Tag wie heute gilt es, zurückzublicken in die Geschichte und dabei aus Fehlern zu lernen. Vieles hat sich in den vergangenen 70 Jahren zum Besseren gewendet. Das gilt es zu bewahren. Doch gleichzeitig wollen wir darauf schauen, was sich noch zum Positiven verändern lässt. Denn jede Zeit will ihre eigenen Antworten haben. Diese Antworten wollen wir geben für eine friedliche Welt, für eine Welt ohne Krisen und Kriege.
Glück auf!