30. Januar 2013, 09:06 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
- Es gilt das gesprochene Wort -
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
mehrere Gedenktage rufen uns im Laufe des Jahres unsere besondere Vergangenheit ins Bewusstsein. Eine Vergangenheit, an die zwar nur noch sehr wenige unter uns eine persönliche Erinnerung haben – die wir aber trotzdem niemals vergessen dürfen. Der wohl wichtigste dieser Gedenktage liegt gerade drei Tage zurück. Am 27. Januar – dem Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau – haben wir in ganz Deutschland wie auch in anderen Ländern der Menschen gedacht, die zum Opfer der Nationalsozialisten, ihrer Mitläufer und Mittäter wurden.
Daneben nimmt in unserer städtischen Erinnerungskultur der 9. November eine hervorgehobene Rolle ein, weil wir, weil die Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchener, am Jahrestag der Pogrome von 1938 stets in einem breiten gesellschaftlichen Bündnis demonstrieren – für Toleranz und Zivilcourage, gegen Fremdenfeindlichkeit und Gewalt. Andere wichtige Gedenktage sind der Antikriegstag, also der 1. September als Jahrestag des Kriegsbeginns, sowie der 8. Mai als Tag des Kriegsendes und der Befreiung.
Ein wichtiges Stück Aufklärung
Der heutige Tag, der 30. Januar, dagegen steht allgemein nicht so sehr im Fokus. Und doch lohnt sich die Beschäftigung mit diesem Tag und mit den Ereignissen, die ihm voraus gingen und dann folgten. Denn ausgehend vom 30. Januar 1933 hat eine regelrechte Mörderbande den gesamten deutschen Staat in ihre Hände bekommen – darunter auch die Gelsenkirchener Stadtverwaltung und die Polizei. Und das geschah nicht, weil sich diese Bande den Staat gewaltsam angeeignet hätte. Sondern weil man ihn ihr anvertraut hat. Weil man den Kopf dieser Bande am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt hat.Das ist das Gespenstische. Und diese Bande hat die ihnen zur Verfügung stehenden Machtmittel ohne jeden Skrupel und zum Schaden von Millionen Menschen brutal ausgenutzt.
Es ist ein wichtiges Stück Aufklärung, diesen Prozess – der sich auch auf städtischer Ebene vollzogen hat – präzise zu beschreiben. Es ist wichtig, weil die dahinter stehenden Fragen weit reichen: Warum hat sich die Weimarer Demokratie so leicht kippen lassen? Warum ist die Machtübernahme der Nazis – oder besser: die Machtübergabe an die Nazis - auch in Gelsenkirchen derart einfach vonstatten gegangen? Wäre in unserer Stadt nicht mehr Widerstand möglich gewesen? Und warum überhaupt haben selbst in einer Arbeiterstadt so viele Menschen die NSDAP gewählt? Warum haben sich nur so wenige Menschen dem Aufstieg dieser Partei in den Weg gestellt?
Mit solchen Fragen werden sich in diesem Jahr mehrere Gelsenkirchener Institutionen in zahlreichen Veranstaltungen beschäftigen – in Fachvorträgen und Filmen, Lesungen und Zeitzeugen-Gesprächen. Eine große Zahl an Einzelpersonen und Einrichtungen wird sich daran beteiligen, gemeinsam unter dem Titel: „Gelsenkirchen erinnert sich – was war 1933 und was bedeutet das für heute?“
Aus den Ereignissen lernen
Denn natürlich haben wir aus diesen Ereignissen etwas zu lernen. Unsere Gesellschaft hat ja schon vieles daraus gelernt – und doch ist dieses Lernen ein Prozess, der niemals aufhört. Es reicht nicht, manche Dinge einmal zu hören. Man muss sich die enorme Bedeutung selbst einfacher Sätze immer wieder vor Augen führen, um ihren Gehalt wirklich zu erfassen. Einfache Sätze wie diesen: Eine Demokratie braucht Demokraten. Eine Demokratie braucht insbesondere wehrhafte Demokraten, die gerade die Grundrechte, die essentiellen Menschenrechte, den demokratischen Grundkonsens schützen. Denn vergessen wir nicht: Die Machtübertragung 1933 hat ja nicht gegen Gesetze verstoßen; formal ging die Machtübernahme Hitlers legal vor sich. Aber von da an wurde fortlaufend gegen eigentlich unantastbare Menschenrechte verstoßen.
Unsere Gesellschaft braucht darum auch so etwas wie Demokratie-Bildung. Wir arbeiten in Gelsenkirchen hart daran, jedem jungen Menschen eine möglichst gute Bildung, möglichst gute Entfaltungschancen für sein Leben zu geben. Und zu dieser Bildung gehört letztlich auch, dass jede und jeder in der Lage sein sollte, in einer Demokratie zu leben und sie durch sein Verhalten zu erhalten und zu stärken. Dazu gehört, dass wir junge Menschen zu aufrechtem Gang und Haltung, zu Rückgrat und Solidarität ermuntern und befähigen. Dass wir sie stark machen – und nicht, dass wir sie schwach und klein halten. Diese Demokratie-Bildung kann nicht allein Aufgabe von wenigen sein; wir benötigen dafür sehr viele Partner auf allen Ebenen. Und darum möchte ich als Oberbürgermeister der Stadt Gelsenkirchen sagen: Es ist gut, dass es in Gelsenkirchen zivilgesellschaftliche Organisationen und Partner der Stadt gibt, die Veranstaltungen wie die heutige und die weiteren im Laufe des Jahres mit auf die Beine stellen. Dafür schon jetzt allen Beteiligten und allen Zuhörern meinen großen Dank und Ihnen allen ein herzliches Glück auf!