01. Mai 2012, 00:01 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
Eine Kundgebung zum 1. Mai - das ist doch bloß ein alljährliches Ritual, sagen manche. Ganz falsch ist es nicht. Aber: Dann ist Weihnachten auch nur ein Ritual. Und überhaupt: Was spricht eigentlich gegen Rituale? Häufig machen sie Sinn.
Rituale sind eingeübte, wiederkehrende Handlungen und Verhaltensweisen, die eines erreichen: Sie schaffen eine Form, um einen bestimmten Inhalt fest in der Mitte einer Gesellschaft, in ihrem Gedächtnis zu verankern. Und beim 1. Mai geht es eben nicht nur um die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern auch um die soziale Balance insgesamt in einem Gemeinwesen, um Solidarität, Gerechtigkeit - und das klare Zeichen, dass dies Werte sind, für die überall auf der Welt es zu streiten lohnt, dass es sich um Rechte handelt, die für alle gelten sollen. Es ist schön, einen festen Tag zu haben, an dem eine Gesellschaft - auch eine Stadtgesellschaft - sich regelmäßig ins Bewusstsein ruft, dass dies eines der wichtigen Fundamente ist, auf dem sie steht. Und es ist schön, an einem solchen Tag zu sehen, dass es sich um Werte handelt, die viele Menschen miteinander teilen.
Wenn die Gewerkschaften den 1. Mai in diesem Jahr unter das Motto gestellt haben „Gute Arbeit für Europa - gerechte Löhne, soziale Sicherheit", dann machen sie allein schon durch den Titel klar, dass es um mehr geht, als nur für die eigenen - berechtigten - Interessen auf die Straße zu gehen. Es geht nicht nur um mehr - es geht ums Ganze.
Es geht um Solidarität, die sich nicht nur auf die eigene Berufsgruppe oder das eigene Land beschränkt. Was mussten wir nicht alles lesen in den letzten Monaten: Von so genannten "Pleitegriechen", die sich angeblich auf unsere Kosten einen lauen Lenz machen. Von Staaten, die angeblich über ihre Verhältnisse gelebt haben und nun endlich auch mal sparen müssen. Das alles war teilweise schon beängstigend und hatte deutliche Parallelen zu einem - wie ich finde - immer rauer werdenden Ton innerhalb unserer Gesellschaft - mit einer kaum verhohlenen Wut gegenüber Schwächeren. Da war dann auf einmal wieder die Rede von "Schmarotzern" und ähnlichem. Die Frage, wie es dazu kommen kann, dass es solche ökonomischen Verwerfungen gibt, die überhaupt Schwächere produzieren - diese Frage wird kaum noch gestellt.
Der 1. Mai mahnt: Reichtum gerecht verteilen
Umso wichtiger, dass sie beim Tag der Arbeit gestellt wird und unsere Stadt zeigt, dass sie anders tickt. Weil sie nicht Zuflucht zu einfachen nationalistischen oder populistischen Denkmustern sucht. Weil sie eine Idee von einem Gemeinwesen hat. Wir wollen uns nicht auseinanderdividieren lassen. Nicht auf europäischer Ebene. Auch nicht auf unserer städtischen Ebene. Und das ist wichtig in diesen Tagen.
Denn es bleibt auch für unsere Stadt ein wichtiges Thema, wie eine gerechtere Verteilung von Arbeit und gesellschaftlichem Reichtum aussehen kann. Wenn man sich ansieht, dass die Stadt Gelsenkirchen gut 70 Prozent ihrer Realsteuereinnahmen für Sozialleistungen ausgibt, die nötig werden, weil Menschen keine oder keine auskömmliche Arbeit haben, dann wird deutlich, was für ein zentrales Thema das ist.
Wir brauchen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor
An vielen Menschen geht der Aufschwung am Arbeitsmarkt vorbei. 6 von 7 Arbeitslosen in Gelsenkirchen beziehen Arbeitslosengeld II - und das schon seit längerem. Wir müssen dafür sorgen, dass auch sie wieder in Lohn und Brot kommen können und damit Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in unserer Stadt sichern. Deshalb müssen wir an Land und Bund appellieren, mit uns gemeinsam einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor in unserer Stadt aufzubauen.
Auch das wäre ein starkes Zeichen für eine solidarische Gesellschaft. Daran sollten wir immer auch denken an einem Tag der Arbeit: Es geht um mehr als um Geld: Es geht um gesellschaftliche Anerkennung und um Teilhabe. Nicht nur am 1. Mai.
Glück auf!
Ihr
Frank Baranowski