11. März 2016, 19:03 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
Rede von Oberbürgermeister
Frank Baranowski
- Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrte Damen,
Ihnen allen ein ganz herzliches Willkommen zum Empfang der Stadt Gelsenkirchen anlässlich des Internationalen Frauentags 2016! Zu der Veranstaltung, für die wir wieder die eine Ausnahme machen – die eine Ausnahme im Jahr von einer Regel, die uns eigentlich teuer und kostbar ist. Die uns kostbar sein muss – denn wer sonst sollte Regeln so gut kennen und so genau beachten wie die Stadt und ihre Verwaltung?
Aber dennoch: Jedes Jahr im März nehmen wir einmal sehenden Auges Abstand vom Diskriminierungsverbot – vom Verbot, als öffentliche Einrichtung eine Entscheidung für oder gegen eine Person allein aufgrund ihres Geschlechts vorzunehmen. Und darum sind Männer bei diesem Empfang allenfalls Randfiguren, entweder hier vorne am Mikrofon oder hinten im Raum als Techniker.
So hat sich das etabliert, und die Tatsache, dass Sie auch heute mit dabei sind und unsere Einladung angenommen haben, die spricht dafür, dass dieses Vorgehen nicht ganz falsch ist. Und vielleicht ist es auch tatsächlich so: Wenn wir anders verfahren würden, wenn wir Frauen wie Männer einladen würden, dann wäre womöglich das Besondere dieses Tages weg. Das außergewöhnliche Setting, das daran erinnert, den Anlass des Internationalen Frauentags bewusst wahrzunehmen – und hier auch nach dem offiziellen Programm noch über die besonderen Bedarfe und Bedürfnisse von Frauen zu sprechen.
Vielleicht denken wir in Zukunft ja noch einmal über eine Öffnung dieses Empfangs nach. Aber kleine Veränderungen sind ja schon in diesem Jahr wahrzunehmen: Dies ist der erste Empfang zum Internationalen Frauentag, an den ich mich erinnern kann, der nicht an einem Sonntagmorgen stattfindet. Und auch der Vortrag fällt ein bisschen aus der Reihe: Wir werden uns einem Thema widmen, das vor einem Jahr noch nicht so auf der Agenda stand.
Ja, auch hier und heute soll es um das Thema Flüchtlinge gehen. Frau Welge wird gleich über die Gelsenkirchener Praxis wie auch unsere Leitlinien der Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen sprechen. Das ist, zunächst, ein eigenes Politikfeld – und auf den ersten Blick kein explizites frauenpolitisches Thema. Auf den zweiten Blick aber schon. Denn beim Themenkomplex „Flucht und Migration“ geht es natürlich sehr stark um das besondere humanitäre Anliegen, das Frauen aus Kriegs- und Krisengebiete haben. In ihrer Heimat, auf der Flucht, auf den Wanderungswegen. Wir alle wissen, dass Frauen fast immer zu den ersten Opfern im Krieg gehören. Dass sie von manchen Kriegsparteien gezielt als Beute betrachtet und behandelt werden. Der IS, so war zu hören, beschäftigt ganze Abteilungen, um junge Frauen nach Syrien zu locken. Schlepper nutzen oft gezielt die Notlagen von Frauen aus.
All das hält uns dazu an, Frauen und Mädchen aus Kriegsregionen bei uns Schutz und Aufnahme zu bieten. Es verpflichtet uns, darauf zu achten, dass sie hier sicher untergebracht und endlich menschenwürdig behandelt werden. Und uns ist auch klar, dass es künftig sehr stark darum gehen wird, dass wir allen Flüchtlingen, die eine Bleibeperspektive in unserem Land haben, einen möglichst guten Zugang zu Bildung und Unterstützungsleistungen eröffnen. Männer wie Frauen. Wobei es in der Tat nicht auszuschließen ist, dass unsere Bildungsangebote für Frauen und Mädchen auch mal auf Widerstände stoßen können. Dem müssen wir uns stellen. Diese Widerstände müssen wir überwinden.
Meine Damen,
man merkt es auch in diesem Jahr mit seinen besonderen Themen: Die Frage nach rechtlicher und faktischer Gleichstellung von Frau und Mann, sie ist immer wieder neu zu behandeln. Man kann sich dafür einsetzen und auch immer wieder echte Erfolge und Fortschritte verzeichnen – und dann doch wieder das Gefühl haben, nicht wirklich vorwärts gekommen zu sein. Viele Fragen sind wieder und wieder zu behandeln, für immer neue Generationen, in immer neuen Formen.
Die gegenwärtige Fluchtbewegung und Zuwanderung wird das Themenfeld „Frauenpolitik in Deutschland“ erneut verändern. Es liegen echte Herausforderungen vor uns, mit manchen Risiken, aber auch mit sehr großen Chancen. Ich möchte deshalb schließen mit dem Ausdruck einer Hoffnung, mit einem Appell: Es liegt an uns, das emanzipatorische Interesse der Frauenpolitik zu erhalten und weiterzutragen. In den Wochen nach der Silvesternacht haben sich viele Leute zu Wort gemeldet, die sich ziemlich plötzlich und wenig glaubhaft als Vorkämpfer für Frauenrechte aufspielten. Ja, die Sicherheit von öffentlichen Plätzen und Straßen ist ein hohes Gut, und ja, diese Vorfälle hätten nicht geschehen dürfen und dürfen sich auf keinen Fall wiederholen!
Das ist das eine. Das andere ist: Wir dürfen dennoch nicht zulassen, dass die Interessen der einen Gruppe gegen die einer zweiten ausgespielt werden. Emanzipation und Integration sind keine Gegensätze und dürfen nicht zum Gegensatz gemacht werden. Daran zu arbeiten, ist eine große Aufgabe für uns alle!
Glück auf!