25. März 2010, 13:52 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
Lieber Franz Müntefering,
genau heute vor 71 Jahren haben die Nationalsozialisten den letzten Schritt vollzogen, um alle deutschen Jugendlichen für die „Hitler-Jugend" zu verpflichten. Die Verordnung der „Jugenddienstpflicht" trat am 25. März 1939 in Kraft. Zuvor hatte bereits das 1936 verabschiedete „Gesetz über die Hitler-Jugend" die legale Grundlage für die Zwangsmitgliedschaft in der Nazi-Jugendorganisation geschaffen. Nach der Einführung des Zwangsbeitritts waren fast alle jungen Menschen Mitglieder der Organisation. Dort wurde ihnen die Nazi-Ideologie vermittelt und die paramilitärische Ausbildung trug dazu bei, dass Hitler später auf viele willige Soldaten zurückgreifen konnte. Um die HJ für die Jugendlichen interessant zu machen, wurden Zeltlager, aufwändige Versammlungen und Spiele veranstaltet.
Unter dem Deckmantel der Bürgerlichkeit
Solcher und ähnlicher Mittel bedienen sich extremistische Organisationen bis heute. Genau deshalb sind sie so gefährlich: Weil sie nach außen hin den schönen Schein wahren. Unter dem Deckmantel der Bürgerlichkeit verbreiten sie ihre rechtsextreme Gesinnung. Mitglieder von pro NRW gelangten auf diese Weise auch in den Rat der Stadt Gelsenkirchen. Das ist der Grund, warum unsere Stadt leider immer wieder als Tagungsort rechtsextremer Parteitreffen missbraucht wird. Vor allem das Schloss Horst als öffentliches Gebäude haben diese Menschen scheinbar zum favorisierten Treffpunkt gewählt. Dort, wo Hochzeiten gefeiert werden und sich ein ganzer Stadtteil zu Hause fühlt. Dieser Missbrauch unserer guten Stube ist für Demokraten nur schwer erträglich und deshalb stemmen sich nicht nur die Horsterinnen und Horster dagegen. Ganz Gelsenkirchen hat in der Vergangenheit den Rechtsextremen Paroli geboten. Und so wird es auch an diesem Wochenende wieder sein!
Einige Chaoten haben allerdings Vandalismus mit politischem Engagement verwechselt. Die Farbattacke auf das Schloss Horst ist kein Ausdruck von Protest. Nein, es ist leider ein Ausdruck von Dummheit, denn mit dieser Schmiererei haben Unbekannte unserem - und vermutlich auch ihrem eigenen - Protest einen Bärendienst erwiesen!
Ich sage deshalb an dieser Stelle nochmals ganz klar, dass Gewalt gegen Menschen und Gewalt gegen Sachen keine geeigneten Mittel der politischen Auseinandersetzung sein dürfen. Ich sage aber auch, dass solche Taten uns nicht dazu verleiten dürfen, vom Widerstand gegen die rechtspopulistischen Aktionen am kommenden Wochenende auch nur einen Fußbreit abzurücken. Die Schmiererei am Schloss Horst diskreditiert ihre Urheber. Sie diskreditiert jedoch nicht den friedlichen bürgerschaftlichen Protest gegen solche, die eine ganze Religion diffamieren, Andersdenkende und Andersartige ausschließen wollen. Zivilcourage gegen Rechts darf man nicht gleichsetzen mit Randalierern, Chaoten und Extremisten. Es gibt keinen Anlass, eine breite bürgerliche Bewegung gegen Intoleranz, Hass und Fremdenfeindlichkeit durch falsche Gleichmacherei zu verunglimpfen.
Aufklärung gegen Einfalt setzen
Meine Damen und Herren,
wenn aus Unrecht eine Gewohnheit zu werden droht, dann wird Widerstand zur Pflicht. Dieses abgewandelte Wort von Bert Brecht nehmen wir zum Anlass, heute diese Ausstellung zu eröffnen. Denn die von der Friedrich-Ebert-Stiftung organisierten Inhalte zum Thema „Demokratie stärken - Rechtsextremismus bekämpfen" bekommen im Kontext des Ausstellungsortes und des Ausstellungszeitraums eine ganz besondere Bedeutung. Wir setzen damit Aufklärung gegen Einfalt. Denn Halbwissen, wie es von extremistischen Kreisen vermittelt wird, ist nicht der Beginn von Bildung, sondern deren Untergang. Ich hoffe deshalb, dass sich die Besucherinnen und Besucher von Schloss Horst in den kommenden Tagen Zeit nehmen, um diese Ausstellung in Ruhe anzuschauen. Vor allem den Menschen, die sich am Samstag hier in der Glashalle treffen, wünsche ich erhellende Momente.
Meine Damen und Herren,
ich danke der Demokratischen Initiative, die sich wie immer äußerst lebendig und flexibel an der Vorbereitung dieser Ausstellung und am Protest gegen die üblen Parolen beteiligt hat. Dank gebührt auch der Friedrich-Ebert-Stiftung, die es auf unbürokratische Weise möglich gemacht hat, dass diese Tafeln zwischen zwei bereits seit längerer Zeit gebuchten Ausstellungsterminen für ein Wochenende auch in Gelsenkirchen gezeigt werden können.
Vielleicht ist diese Ausstellung ja auch der Beginn von etwas Neuem, denn die helle, offene Atmosphäre der Glashalle von Schloss Horst eignet sich eigentlich in ganz besonderer Weise für verschiedenste Exponate. Wofür sich dieses Stadtteilzentrum und unsere Stadt jedoch niemals eignen werden, ist der Aufmarsch rechter Hohlköpfe.
In Gelsenkirchen gibt es keinen Platz für Hass, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz. Wir in Gelsenkirchen lassen uns nicht auseinander dividieren. Wir zeigen, dass wir es nicht dulden, wenn andere ausgeschlossen, eingeschüchtert und herabgewürdigt werden. Und dieser Protest ist ein friedlicher. Er ist ein breiter quer durch alle politischen Lager, durch Konfessionen und Generationen. Er ist ein bunter. Und er ist kein illegaler. Da sollten wir uns nicht irritieren lassen.
Ich freue mich deshalb auf die inhaltliche Auseinandersetzung, auch wenn der Anlass ein trauriger ist. Der Blick in die Runde beweist mir, dass wir erneut einig sind und deshalb wünsche ich uns allen für die kommenden Tage viel Erfolg und ein herzliches Glück auf!