29. April 2011, 15:13 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
Sehr geehrter Herr Dr. Merchiers,
vielen Dank für Ihre freundliche Begrüßung. Und vor allem für Ihre Gastfreundschaft, die uns als Stadt Gelsenkirchen ermöglicht, heute hier unseren traditionellen Arbeitnehmerempfang in den Hallen der Schalker Eisenhütte auszurichten.
Die Schalker Eisenhütte – das muss man schon so sagen – : das ist ein Stück Gelsenkirchener Wirtschaftsgeschichte. 1872 gegründet von einem der ganz großen Industriepioniere, Friedrich Grillo, beweist sie heute eindrucksvoll, dass Tradition und Innovation Hand in Hand gehen. Ja, mehr noch: Dass Innovation Tradition hat. So wie man hier vor über 100 Jahren bereits in der Entwicklung von Bergbautechnik weit voraus war, so ist das auch heute noch: Die modernste Kokerei der Welt – gleich hier um die Ecke in Duisburg – ist in der Schalker Eisenhütte entstanden. Das Know-How, das sich hier in der fast 140-jährigen Firmengeschichte angesammelt hat, das macht man heute auch fruchtbar für andere Wirtschaftsfelder abseits des Bergbaus.
Und das passt gut zu Gelsenkirchen. Die gesamte Stadt hat sich in den vergangenen Jahrzehnten, in denen unsere alte wirtschaftliche Grundlage wegbrach, schließlich neu erfinden müssen. Aber wir mussten nicht bei Null anfangen. Stets konnte auf vorhandene Kompetenzen zurückgegriffen werden. Diejenigen, die früher Grubenlokomotiven herstellten, bauen jetzt Spezialzüge für den Güterverkehr. Diejenigen, die früher Schrauben und Armaturen für die Bergbautechnik produzierten, sind Zulieferer von Komponenten für Windkraftanlagen. Diejenigen, die früher Glas gossen, fertigen heute Solarmodule. Vieles hat sich also gewandelt.
Vieles hat sich gewandelt in Gelsenkirchen
Sehr geehrter Herr Dr. Merchiers,
lieber Josef Hülsdünker,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
vieles hat sich gewandelt in Gelsenkirchen. Geblieben – geblieben aber sind hier die Menschen, die gute Arbeit verrichten. Und gute Arbeit verrichten wollen. Die sich identifizieren mit ihrem Werk, mit ihrer Firma und mit ihrem Produkt.
Denen es nicht egal ist, wenn ein Unternehmen alle zwei Jahre seinen Namen wechselt, weil es eben auch ein Teil ihrer Identität ist. Die das Produkt, das sie herstellen, auch zu ihrem Produkt machen wollen. Die einen Bezug dazu haben wollen. Die es gern machen. Und die es auch gut machen wollen. Kurz: Menschen, die gute Arbeit leisten wollen. Und die gute Arbeit haben wollen.
Und „gute Arbeit“ – das heißt eben auch eine feste Beschäftigung zu fairen Konditionen und einem Lohn, von dem man in Würde leben kann!
Und vor genau diesem Hintergrund lohnt es sich, die aktuellen Jubelmeldungen vom Aufschwung einmal genauer zu betrachten. Und da scheint es mir doch noch sehr die Frage, ob tatsächlich jeder in gleichem Maße Grund zum Jubeln hat.
Sicher: Die Konjunktur in Deutschland scheint derzeit zu brummen. Die Unternehmen freuen sich über erfolgreiche Jahresabschlüsse für 2010. Nach einem Plus beim Bruttosozialprodukt von 4,7 Prozent im vergangenen Jahr rechnen die meisten Wirtschaftsforschungsinstitute auch für 2011 mit einem Plus von deutlich über zwei Prozent. Gleichzeitig sinkt die Zahl der Arbeitslosen. Alles bestens also, könnte man meinen. Aber schauen wir mal genauer hin.
In dieser Woche war es – auch in der WAZ – zu lesen: Jeder vierte Arbeitnehmer in Nordrhein-Westfalen ist Minijobber. Fast 1,8 Millionen Menschen sind geringfügig Beschäftigte. Und ein Großteil des Beschäftigungsbooms entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Blase. Denn die Zahl der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse ist in den vergangenen acht Jahren um ein Drittel gestiegen. Und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, scheint mir kein rechter Grund zum Jubeln zu sein. Denn es handelt sich allesamt um Arbeitsverhältnisse, die kein Auskommen ermöglichen, geschweige denn, mit denen man eine Familie ernähren kann, die nicht in die sozialen Sicherungssysteme einzahlen, die in der Regel nicht steuerpflichtig sind und damit auch nicht zur Finanzierung der gemeinschaftlichen Aufgaben einer Gesellschaft beitragen.
Gute Arbeit sieht anders aus
Mit anderen Worten: Arbeit, die unsolidarisch ist. Unsolidarisch gegenüber den Kolleginnen und Kollegen, die sie ausfüllen müssen. Aber auch unsolidarisch gegenüber der Gemeinschaft, die im Grunde für diese Möglichkeit der Unternehmen, „sich einen schlanken Fuß“ zu machen, aufkommen muss.
Gute Arbeit – das wissen wir im Ruhrgebiet – die sieht anders aus. Deswegen müssen wir – gerade im Aufschwung – darauf aufmerksam machen, dass mitnichten jetzt – nach der globalen Finanzkrise – wieder alles gut ist.
Wir müssen dafür sorgen, dass diejenigen, die den derzeitigen wirtschaftlichen Erfolg maßgeblich erarbeiten, auch ihren Anteil daran bekommen – in Form von anständigem Lohn, in Form von fairen Arbeitsbedingungen und in Form von „guter Arbeit“.
Lassen wir uns nicht einlullen von den beruhigenden Nachrichten aus der Wirtschaft, die am Ende doch wieder um das alte Mantra kreisen, dass, sobald es den Unternehmen gut geht, es auch automatisch wieder den Beschäftigten gut geht. Die Erfahrung der letzten Dekaden und auch die aktuelle Situation lehren uns, dass das eben nicht stimmt! Die Schere bei Einkommensverteilung und Wohlstand in unserer Gesellschaft klafft immer weiter auseinander. Während die oberen 30 Prozent der Haushalte über fast 90 Prozent des Vermögens verfügen, hat die untere Hälfte so gut wie gar nichts auf der hohen Kante. Die unteren 20 Prozent sind sogar hoch verschuldet.
Darauf aufmerksam zu machen, ist die große Verpflichtung, die wir alle derzeit haben. Und es ist Eure schwierige Aufgabe als Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Betrieben, immer wieder selbstbewusst und standhaft und beharrlich Ihren Anteil am Aufschwung zu erkämpfen.
Denn – und hier zitiere ich gern Willy Brandt -: Nichts kommt von alleine! Und wenig ist von Dauer, wenn wir nicht immer und immer wieder selber dafür sorgen, dass Standards gesetzt und eingehalten werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
für diese wichtige Aufgabe, ohne die unsere Gesellschaft weiter auseinander driftet, ohne die am Ende Solidarität aufgekündigt wird und Gemeinschaft erodiert – für diese wichtige Aufgabe wünsche ich Euch allen, uns allen in diesen Tagen viel Kraft und Durchhaltevermögen!
Glück auf!