04. Oktober 2012, 14:23 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchener,
schön, dass Sie der Einladung gefolgt und heute hier sind – schön, dass Sie mitkommen! Denn wir wollen uns von heute an gewissermaßen auf eine Reise begeben. Auf eine Reise, die nicht nur ein paar Tage dauern wird, sondern etwas länger, und die ein sehr ehrgeiziges Ziel hat. Wir wollen aufbrechen in Richtung Barrierefreiheit. In Richtung des Traumziels „Inklusive Stadt“ – hin zu einem künftigen „Gelsenkirchen all inclusive“. Und da ist es gut, wenn wir gemeinsam starten, mit möglichst vielen Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchenern an Bord – weil wir so mehr bewegen können, mehr Ideen zusammentragen und auch umsetzen können!
Diese Reise wird allerdings, darauf will ich gleich zu Beginn hinweisen, nur wenig mit dem zu tun haben, was einen erwartet, wenn man einen Urlaub „all inclusive“ bucht. Womit da zu rechnen ist, wissen wir alle: Man kann es sich für einige Zeit bequem machen. Man kann sich zurücklehnen, den angebotenen Komfort genießen.
Bei dem, was wir in den nächsten Monaten und Jahren vorhaben, wird eher das Gegenteil der Fall sein: Wenn wir uns zurücklehnen, dann wird nicht viel geschehen. Nein, unsere Reise hin zu einem möglichst barrierefreien Gelsenkirchen braucht jede und jeden von uns. Diese Reise braucht Sie, braucht unser aller Engagement! „Gelsenkirchen all inclusive“ – also eine wirklich inklusive Stadt für alle, in der jeder und jede mit dabei ist und niemand außen vor bleiben muss –, die können wir nur gemeinsam entwickeln. Aber wenn wir die Bereitschaft dazu haben, dann ist Vieles möglich. Dann wird der heutige Aufbruch uns tatsächlich zu einem kleinen Abenteuer, zu einem neuen Horizont führen.
Natürlich beginnen wir nicht bei Null. Natürlich kümmern sich viele hier in diesem Kreis schon jetzt an ganz unterschiedlichen Stellen um das Thema „Inklusion“. Es gibt sehr viele unterschiedliche Initiativen, die mit daran arbeiten, dass es sich bei uns möglichst gut leben lässt – und zwar für alle möglichst gut leben lässt. Egal jung oder alt, ob die Familie in der Anfangsphase des Bergbaus ins Ruhrgebiet gekommen ist oder erst später. Und vor allem: Egal, ob eine körperliche oder seelische Behinderung den Alltag erschwert oder nicht.
Niemanden vom gesellschaftlichen Leben fernhalten
Wir haben in unserer Stadt etliche gute Beispiele von Menschen und Einrichtungen, die schon heute einen wertvollen Beitrag dazu leisten, dass eine körperliche oder geistige Beeinträchtigung niemand vom gesellschaftlichen Leben fernhält. Da kann ich die Arbeitsgemeinschaft der Gelsenkirchener Behindertenverbände und Selbsthilfegruppen nennen, die unter anderem die Stadt bei den Planungen zu öffentlichen Bauten berät. Da kann ich die Runden Tische in den Stadtteilen aufführen; Hof Holz; die Hör-Oper im MiR, die mit dafür sorgt, dass auch Sehbehinderte Opern genießen.
Und dazu gehören auch die Kitas, in denen behinderte und nicht-behinderte Kinder zusammen in einer Gruppe betreut werden und miteinander spielen. Zu erleben, dass Menschen unterschiedlich sind, ist eine wertvolle Erfahrung, gerade in den frühen Lebensjahren. Und dennoch kann man sich fragen, warum unser Schulsystem diese Erfahrung den älteren Kindern und Jugendlichen bisher nicht vermittelt. Gerade im schulischen Bereich wird in den nächsten Jahren eine der ganz großen Herausforderungen in Sachen Inklusion liegen. Das wissen wir alle.
In welchen Bereichen diese Herausforderung bereits jetzt in Gelsenkirchen angegangen wird, darüber können wir alle uns hier und heute einen Überblick auf dem „Markt der Möglichkeiten“ verschaffen. Sie werden feststellen: Es wird in unserer Stadt schon ganz schön viel getan, um Barrieren abzubauen! Und doch – wir wollen es damit nicht bewenden lassen. Wir wollen noch mehr tun. Wir wollen noch einen oder zwei Schritte darüber hinausgehen, Initiativen vernetzen, neue Ideen zum Abbau von baulichen wie mentalen Barrieren sammeln und umsetzen.
Das klingt jetzt vielleicht noch ein bisschen vage. Sie fragen sich an dieser Stelle möglicherweise: Woher sollen die Ideen kommen? Welche Ideen sind gefragt? Was kann ich beisteuern? Oder, um beim Bild zu bleiben: Wie wird denn jetzt die Route aussehen?
Ich bin zuversichtlich, dass wir darüber bald mehr wissen. Denn wir haben bereits gute Erfahrungen gemacht mit der gemeinsamen Suche nach Lösungen für gesellschaftliche Anliegen, zum Beispiel in der Seniorenpolitik. Auch in der Seniorenpolitik geht es ja darum, Menschen Teilhabe an unserer städtischen Gesellschaft zu ermöglichen. Sich darum zu kümmern, dass die ältere Dame von nebenan, deren Mann vor einem Jahr gestorben ist und die nicht mehr so gut zu Fuß ist, dass auch sie am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann. Dass sie sich nicht abkapselt und nicht ausgeschlossen wird.
Wir haben also – ähnlich wie wir das heute vorhaben – einen Diskussionsprozess begonnen, an dem sich erfreulicherweise zahlreiche Gelsenkircherinnen und Gelsenkirchener beteiligt haben. So entstand die Idee, in möglichst jedem Quartier einen Ansprechpartner für ältere Menschen einzusetzen. Eine Person, die immer ein offenes Ohr für Senioren hat. Die sich darum kümmert, dass die Straßen und Bürgersteige auch mit einem Rollator gut zu begehen sind. Dass es regelmäßige Treffen für Menschen über 60 oder 70 gibt – und vieles andere mehr. So kam schließlich die Idee für die Nachbarschaftsstifter und Seniorenvertreter auf. Heute sind über 80 ehrenamtlich tätige Gelsenkirchener und Gelsenkirchenerinnen in dieser Form für ihre Nachbarn da und leisten großartige Arbeit – und viele Städte orientieren sich an unserem Vorbild.
Von einer barrierefreien Stadt profitieren alle
Wir haben also durch den Diskussionsprozess eine Lösung entwickelt, die ein gutes Stück besser ist als das, was wir durch Verwaltungshandeln bewerkstelligen könnten. Möglich war das nur, weil sich viele Bürgerinnen und Bürger beteiligt haben. Aber das zeigt uns: Wir haben enorme Potenziale in unserer Stadt. Und die wollen wir auch jetzt bei der Herausforderung Inklusion nutzen, um unserem großen Traumziel „Barrierefreiheit“ näher zu kommen.
Zumal wir alle etwas davon haben werden. Offenkundig ist das bei baulichen Barrieren: Wo es Aufzüge und Wege für Rollstuhlfahrer gibt, da profitieren auch Eltern mit Kinderwagen davon – und der Fußballer mit dem Bänderriss ebenfalls. Wenn es in der Straßenbahn gute Ansagen für Sehbehinderte gibt, dann finden sich auch Gäste bei uns gut zurecht.
Wir werden alle etwas davon haben, denn es ist ja nicht so, dass es auf der einen Seite die Behinderten gibt – und auf der anderen die Nicht-Behinderten, die bloß ein wenig Rücksicht nehmen müssen. So einfach teilen wir uns zwar im Alltag manchmal die Welt und die Menschen ein; aber wenn wir etwas genauer hinschauen, müssen wir sagen: Es gibt ja eigentlich keine Menschen ohne Behinderung. Wir alle haben Momente, in denen wir Hilfe benötigen. In denen wir nicht allein zurechtkommen, in denen wir viel Mühe aufbringen für etwas, das Anderen scheinbar leicht fällt. Umgekehrt haben wir alle Fähigkeiten, auch wenn die niemand bemerkt. Der Respekt für diese Unterschiede ist ganz sicher ein wichtiger Bestandteil einer barrierefreien Stadt.
Ich jedenfalls bin sehr gespannt, was Ihnen, was uns allen auf dem Weg zur inklusiven Stadt einfällt. Welche Ideen und Schritte uns dem Traumziel „Barrierefreiheit“ näher bringen. Und ich würde mich natürlich sehr freuen, wenn sich möglichst viele von Ihnen an diesem Prozess beteiligen, wenn möglichst viele von Ihnen die ausgeteilten Karten heute ausfüllen oder uns in den nächsten Tagen oder Wochen zusenden und sagen: Ja, ich möchte mit auf die Reise! Ich würde mich freuen, wenn dieser Tag heute einen Schwung entfacht, der diesen Prozess weiterträgt – durch alle weiteren Veranstaltungen, Workshops und Ideenwerkstätten, die nötig sein werden. Einen Schwung, der dafür sorgt, dass „Gelsenkirchen all inclusive“ eines Tages ein realistisches Ziel ist und kein Traumziel bleiben muss.
Auf diesem langen Weg wünsche ich uns allen viel Ausdauer und sage Ihnen allen meinen Dank dafür, dass Sie dabei sind!
Glück auf!