01. Mai 2013, 14:55 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
- Es gilt das gesprochene Wort -
Lieber Franz-Josef Möllenberg,
lieber Josef Hülsdünker,
meine Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sechs Worte hat der DGB als Überschrift für die heutige Kundgebung gewählt, aber in diesen wenigen Worten steckt ein ganzes Programm. Da stecken eine klare Haltung und zugleich ein richtiger Forderungskatalog drin: Gute Arbeit. Sichere Rente. Soziales Europa. Das ist es, worum es geht – nicht nur heute, und nicht nur in Gelsenkirchen!
Für genau diese Ziele werden die Menschen am Internationalen Tag der Arbeit in vielen Städten in Deutschland und Europa auf die Straßen und Plätze gehen – bei uns im Ruhrgebiet, aber auch in Lissabon und Madrid, Paris und Athen. Und überall werden sie ihren Wunsch nach guter Arbeit zum Ausdruck bringen – nach Arbeit zu fairen, anständigen Bedingungen. Und sie werden die Forderungen nach einem Europa stellen, in dem die Bürgerinnen und Bürger demokratisch entscheiden und die Lasten nach Leistungsfähigkeit verteilt werden. Wo nicht allein Finanzmanager entscheiden und Bankenkrisen nicht zum Abbau von Bildungsangeboten und sozialer Leistungen führen!
Vermutlich waren diese Forderungen noch nie – oder zumindest schon lange nicht mehr – so dringlich wie heute, da Europa unter erheblichen wirtschaftlichen Problemen leidet. Da die durchschnittliche Arbeitslosigkeit in kurzer Zeit auf ein Niveau geklettert ist, das wir allenfalls aus den Umbruchzeiten des Strukturwandels im Ruhrgebiet kennen. Da ganze Staaten unter dem Druck der Finanzmärkte – die sie ja kurz zuvor noch gerettet haben – auf notwendige Investitionen in Bildung, Soziales und Infrastruktur verzichten müssen. Da sie gezwungen sind, an der Zukunft von Millionen Menschen zu sparen!
All das macht die Forderungen nach guter Arbeit und einem sozialen Europa so dringlich, so wichtig. Und darum bin ich froh, dass Ihr heute hier seid, dass Sie gekommen sind! Dass sich so viele Menschen versammelt haben, um gemeinsam Position zu beziehen und auch Solidarität zu bekunden!
Auch wenn wir in unserer Stadt nicht solchen Turbulenzen ausgesetzt sind wie die Menschen in Südeuropa; auch wenn wir in Gelsenkirchen langsam die Arbeitslosigkeit gesenkt bekommen – von einst über 24 auf inzwischen rund 14 Prozent,gut 1.000 neue Arbeitsplätze kommen pro Jahr hinzu –, auch wenn sich also bei uns einiges in die richtige Richtung bewegt, so müssen wir doch sagen: Längst nicht alles läuft gut. Noch immer gibt es viele Gründe, sich für gute Arbeit einzusetzen.
Wir haben eine Verantwortung für diejenigen, die keine Stelle finden
Der Zuwachs an Beschäftigung beispielsweise, der geht für meinen Geschmack nicht nur bei uns zu stark auf das Konto von prekärer Beschäftigung. Von Minijobs, befristeten Stellen, unzureichend vergüteten Arbeitsplätzen und Leiharbeit. Von Stellen also, auf denen Menschen die gewünschte Sicherheit verweigert wird. Und das oft zu Stundenlöhnen, die keinen Zweifel daran lassen, dass wir eine gesetzliche Lohnuntergrenze brauchen. Jahr für Jahr kostet es die Stadt Gelsenkirchen einen zweistelligen Millionenbetrag, das Entgelt von Beschäftigten aufzustocken, die nicht genug zum Leben verdienen.
Wir sind gezwungen, mit Steuergeldern Arbeitgebern, die Gewinne einfahren, die Arbeitskosten zu zahlen! Das ist ein andauernder Skandal! Einen Skandal, den ich nicht mehr länger hinnehmen möchte! Einen Skandal, den wir nur durch Mindestlöhne abstellen können!
Zum Thema „Gute Arbeit“ gehört darüber hinaus, dass wir in unserem Gemeinwesen eine Verantwortung haben für die Frauen und Männer, für die nach mehreren Jahren in Hartz IV der Weg auf den ersten Arbeitsmarkt zu weit und zu steinig geworden ist. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen ist bei uns ja besonders hoch, deshalb haben wir in den vergangenen Monaten aufgerufen, in Gelsenkirchen einen sozialen Arbeitsmarkt zu schaffen – um Menschen aus der Perspektivlosigkeit herauszuholen, um ihnen endlich einen Weg zu Beschäftigung und Qualifizierung zu ermöglichen!
Der Gelsenkirchener Appell wurde getragen von einem breiten Bündnis verschiedener politischer Parteien in unserer Stadt, von Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden und sogar Religionsgemeinschaften. Über diese breite Unterstützung habe ich mich sehr gefreut. Und umso ärgerlicher war die Antwort, die wir erhalten haben: Dabei hat die zuständige Ministerin hat den Gelsenkirchener Appell noch nicht einmal selbst beantwortet, sondern ihr Ministerium lediglich ein dünnes Schreiben versenden lassen. Es ist schon beängstigend, wie fern einem in Berlin das Ruhrgebiet mit seinen besonderen Problemlagen sein kann! Dieses Verhalten, diese Ignoranz gegenüber den Menschen und einer ganzen Region, die ist unanständig!
Zu einer ganz ähnlichen Einschätzung komme ich, wenn ich an Unternehmen denke, die hier bei uns ansässig sind, die unsere Infrastruktur sehr bereitwillig in Anspruch nehmen, unsere Straßen nutzen, in öffentlichen Schulen und Hochschulen ausgebildete Beschäftigte einstellen – aber zugleich einen gewaltigen Aufwand betreiben, um ihre Gewinne vor Ort möglichst klein zu rechnen, um ja nicht zur Finanzierung öffentlicher Ausgaben beizutragen!
Das sind, wenn Sie mich fragen, Strategien und Praktiken, wie wir sie aus Griechenland und Spanien geschildert bekommen – und über die wir alle den Kopf schütteln. Wenn wir in einem intakten Gemeinwesen leben wollen, dann dürfen wir das nicht gut heißen. Und dann muss sich endlich auch die Einsicht festsetzen: Nicht alles, was legal ist, ist auch legitim!
Wir erleben zu oft, dass die Wirtschaft von der Substanz unseres Gemeinwesens zehrt – statt, wie es eigentlich sein sollte, zu diesem Gemeinwesen beizutragen. Statt unsere Gesellschaft, unser Miteinander zu stärken. Wir sollten uns dafür einsetzen, dass sich hier wieder die Akzente verschieben. Dass diejenigen, die das Wirtschaftswachstum und den Wohlstand erarbeiten, auch daran beteiligt werden. Dass diejenigen, die unsere Unterstützung brauchen, sie auch erhalten.
Es gibt viele und gute Gründe, sich dafür einzusetzen – und es gibt immer noch zahlreiche Wege, das zu tun. Diese Kundgebung am Tag der Arbeit, diese Stellungnahme für gute Arbeit und ein soziales und demokratisches Europa – die gehört dazu. Sie zeigt, dass wir uns einig sind. Sie zeigt, dass wir viele sind. Und sie macht Mut, auch weiterhin gemeinsam für unser Anliegen zu kämpfen!
Ich wünsche uns allen viel Kraft und Beharrlichkeit dabei!
Glück auf!