03. November 2021, 15:44 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
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GE.: Am Sonntag, dem 7. November 2021, lädt die Jüdische Gemeinde Gelsenkirchen (Georgstr. 2, 45879 Gelsenkirchen) um 17 Uhr zum Klavierkonzert im Rahmen des bundesweiten Themenjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ ein. Der Konzertabend ist Teil der Kammerkonzertreihe „Wie sich die Zeit verzweigt“, die im Herbst 2021 in Gelsenkirchen, Recklinghausen und Bochum durchgeführt wird.
„Brücken“ zu schlagen zwischen den vielen Facetten jüdisch-deutscher Musik, zwischen der aus Deutschland emigrierten und ins Nachkriegs-Deutschland zurückgekehrten ebenso wie zwischen der neueren israelischen und deutschen Musik, – das erscheint als eine wichtige Aufgabe heute lebender deutscher Interpreten. Sie sind sich der historischen Verantwortung bewusst und wagen es zudem, sich den damit verbundenen vielfältigen stilistischen Herausforderungen zu stellen. Gerade der konzertierende Pianist kann dabei aus einer Fülle von Stücken jüdischer Komponisten wählen, die in der (Klavier)Musikgeschichte der letzten 200 Jahre eine oft unterschätzte, immer aber unverwechselbare Rolle gespielt haben. Ganz in diesem Sinn hat der Pianist Rainer Maria Klaas das Programm für sein Klavier-Rezital in der Gelsenkirchener Synagoge zusammengestellt, das neben Kompositionen Ferdinand Hillers („Huit mésures variées, op. 57) und Charles Valentin Alkans („Le Festin d'Esope“, op. 39.12) ausschließlich Werke des 20. Jahrhunderts präsentiert. Auch zwei aus Gelsenkirchen stammende und nach Palästina emigrierte jüdische Komponisten sind mit ihren Werken vertreten.
Ben-Zion Orgad, am 21. August 1926 unter dem Namen Büschel in Gelsenkirchen geboren, emigrierte bereits siebenjährig mit seiner Familie nach Palästina und entging damit dem Schicksal seines Onkels Josef Büschel, der im KZ Auschwitz ermordet wurde. Er wurde als Geiger ausgebildet und nahm Kompositionsunterricht bei Paul Ben-Haim in Tel Aviv, Josef Tal in Jerusalem sowie in Kursen im amerikanischen Tanglewood, u. a. bei Aaron Copland. Seit 1956 im israelischen Kultusministerium für Schulmusik zuständig, schuf er zahlreiche Vokalwerke, eine Sinfonie Hazwi Israel und Kammermusik; auch als Übersetzer von Gedichten Paul Celans ins Iwrith ist er hervorgetreten. Er bekannte sich zum Einfluss der jüdischen Kantillationspraxis auf Melodik wie Harmonik seiner Musiksprache. Seine Tone-Alleys wurden 2001 vom 10. Arthur-Rubinstein-Wettbewerb in Jerusalem als Pflichtstück ausgewählt. 1998 organisierte die Kulturverwaltung Gelsenkirchens einen Besuch von Orgad in seiner Heimatstadt, begleitet von einem Konzert im Musiktheater und dem Eintrag in das Goldene Buch der Stadt. Orgad verstarb am 28. April 2006 in Tel Aviv.
Zvi Nagan, eigentlich Herbert Neugarten, wurde 1912 in Buer, heute Gelsenkirchen, geboren. Vermutlich Anfang der 1920er Jahre verließ die Familie Gelsenkirchen. Ausgebildet in Violine, Viola und Kontrabass, kam er 1937 nach Palästina, wo er den Namen Zvi Nagan annahm und seine Studien bei Paul Ben-Haim, Joseph Kaminski und Josef Tal fortsetzte. Er schuf Chorwerke, pädagogische Stücke für Melodieinstrumente und Kammermusik. Sein 1976 erschienenes Satzpaar Come Preludio – Come Rondino ist eines seiner wenigen Klavierwerke – äußerst knapp, fast spröde in der Diktion, aber mit lebendiger Tempogestaltung. Nagan starb 1986 in Tel Aviv.
Aus der Nachbarstadt Herne ist der Komponist Moisei Boroda (*1947) vertreten. Gebürtig aus Georgien, kam er 1989 nach Deutschland und lebt heute als Komponist, Schriftsteller und Kulturorganisator in Herne. Er ist Mitglied der Jüdischen Gemeinde Bochum-Herne-Hattingen. Zur Uraufführung kommt seine Klaviersolo-Fassung seines Werkes „El male rachamin“ („Gott des Erbarmens“). Es greift ein mittelalterliches jüdisches Gebet auf, das heute bei Bestattungen und Gedenkfeiern insbesondere für die Opfer der Schoa gesprochen/gesunden wird.
Der Pianist Rainer Maria Klaas (Recklinghausen) ist mit rund 2.000 aufgeführten Werken von etwa 1.200 Komponisten der repertoirereichste europäische Pianist. Zahlreiche Konzerte, CDs und Rundfunkproduktionen; in den letzten Jahren zahlreiche Melodramen-CDs (auch Improvisationen) mit dem Berliner Rezitator Peter P. Pachl. Gründer der bis heute erfolgreichen integral::musiken Ruhr 1975, Herausgeber- und Lehrtätigkeiten und seit 2002 auch als Dirigent. Gemeinsam mit Michael Em Walter ist Klaas Künstlerischer Leiter der Programmreihe „Wie sich die Zeit verzweigt“.
Zum Jahr 2021, das bundesweit „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ thematisiert, will der Veranstaltungszyklus „Wie sich die Zeit verzweigt“ (Paul Celan) einen Beitrag mit sieben verschiedenen Programmen leisten, die deutsch-jüdisches Komponieren und Dichten in bekannten, aber auch vielen neuen und neu zusammengestellten Aspekten beleuchten. Die musikalisch-literarische Konzertreihe ist ein Gemeinschaftsprojekt des Kulturraum „die flora“ der Stadt Gelsenkirchen in Kooperation mit der Stadt Recklinghausen/Fachbereich Kultur, der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen, der Jüdischen Gemeinde Bochum-Herne-Hattingen, dem Freundeskreis Synagoge Bochum-Herne-Hattingen e. V. und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Recklinghausen. Die Konzertreihe wird unterstützt durch die LWL-Kulturstiftung.
Die Veranstaltung beginnt um 17 Uhr, Einlass ist ab 16.30 Uhr. Der Eintritt beträgt 14,00 Euro, ermäßigt 10,00 Euro (Ermäßigung für Schüler*innen, Studierende, Auszubildende, GE-Passinhaber*innen, Ehrenamtskarteninhaber*innen); Begleitpersonen von Schwerbehinderten haben freien Eintritt.
Eine Kartenreservierung ist erforderlich per Mail unter info@jg-ge.de. Für den Zugang zur Veranstaltung gelten zurzeit die 3 „G`s“: Geimpft – Genesen – Getestet. Ein Nachweis ist bei Eintritt vorzulegen.
Hinweis für die Redaktionen: Ein Foto (Ben-Zion Orgad (c) Rivka Rass.jpg) und ein Abbildungsmotiv (verzweigte_zeit_vorschaubild_(c)Jesse_Krauß.jpg) sind beigefügt.