30. August 2018, 17:14 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren Stadtverordnete,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
es ist fast genau ein Jahr her, seitdem wir den letzten Haushaltsentwurf in diesem Ratssaal eingebracht haben – den ersten seit langer Zeit, der in allen Planjahren kein Defizit vorgesehen hat.
Seitdem ist einiges passiert.
Eine fiskalische Berg- und Talfahrt, die in dieser Form für eine Großstadt vermutlich nicht allzu häufig vorkommt und die uns heute und in Zukunft vor große Herausforderungen stellt und stellen wird.
Erfolgsgeschichte Haushaltssanierung
Wir kennen in dieser Stadt sowohl Erfolge, als auch Rückschläge. Darüber könnte jeder von Ihnen ganze Bände füllen, je nach Sichtweise und politischer Intention mehr zugunsten des Einen oder des Anderen.
Erfolge und Rückschläge haben in der Regel eins gemein:
Sie sind konkret. Sie sind sichtbar, greifbar, erlebbar.
Für den Haushalt an sich gilt das nur bedingt.
Er bildet das Handeln dieser Stadt in Worten und Zahlen ab; er bündelt, aggregiert und beschreibt. Und obwohl er konkrete Ziele, Maßnahmen und Wirkungen definiert, bleibt er für Viele in seiner Gänze doch immer irgendwie abstrakt.
Dennoch waren die Haushalte der vergangenen Jahre und der darin beschriebene Weg der Haushaltssanierung nicht nur eine abstrakte, sondern eine sehr konkrete Erfolgsgeschichte.
Denn trotz aller auch überraschenden Herausforderungen der letzten Jahre:
Wir konnten die Erreichung der Stärkungspaktziele, Haushaltsausgleich im Jahr 2018 mit den Hilfen aus dem Stärkungspakt und ab 2021 aus eigener Kraft, stets darstellen. Die Kommunalaufsicht hat uns regelmäßig die Osterfeiertage mit der Haushaltsgenehmigung versüßt und uns damit darin bestärkt, dass es sich lohnt, die Eigenleistungen des Stärkungspaktes zu erbringen, um damit wichtiges Landesgeld für unsere Konsolidierung zu erhalten und gleichzeitig unsere kommunale Handlungsfähigkeit zu bewahren.
Wir haben Haushaltssanierung betrieben, so pragmatisch, wie man das von einer geübten Ruhrgebietsstadt erwarten darf – keine wirren Giftlisten, keine überzogenen Spardiktate, sondern mit langem Atem, auf breiter Basis, mit Anpacken und Fingerspitzengefühl.
Sanierung haben wir hier stets mit dem Adjektiv ‚verantwortungsvoll‘ verbunden; ohne stadtprägende Strukturen in Frage zu stellen.
Wir haben nicht wild kaputtgespart, sondern auch viel getan, um Gutes noch besser zu machen und dort aufzuholen, wo wir besser werden mussten. Und wir werden auch weiter daran arbeiten, besser zu werden.
Wir haben uns auf einen Konsolidierungsweg gemacht, der die Belastungen für die Bürgerinnen und Bürger so gering wie möglich hält
– das ist hier im „Hochsteuerland Ruhrgebiet“, wo heute die kommunalen Steuern fast überall deutlich höher sind als noch vor 10 Jahren, längst nicht mehr selbstverständlich.
Meine Damen, meine Herren, was ich sagen will:
Ich bin stolz darauf, was wir im Laufe der Jahre erreicht haben, dass wir eben weder den Stärkungspakt haben platzen lassen, noch kommunale Leistungen unreflektiert reduziert oder die Steuern zur Grenze der Erdrosselung erhöht haben.
Höhen und Tiefen
Wir haben in den letzten Jahren was den Haushalt betrifft hier einige Höhen und Tiefen erlebt. Die schroffsten unter dem Stichwort Gewerbesteuer.
Der größte Rückschlag in letzter Zeit, der uns vor nunmehr knapp 6 Jahren kurz vor Weihnachten ereilt hat, ließ uns am Jahresende mit
85 Mio. € Gewerbesteuer weniger dastehen als geplant,
statt 108 Mio. € mit nur 23 Mio. € in der Kasse.
Aber das Spiel geht auch andersherum:
Wir konnten uns im letzten Jahr mit 77 Mio. € mehr bei der Gewerbesteuer um einen fast genauso hohen Ausschlag zur anderen Seite freuen, insgesamt ein Aufkommen von rd. 163 Mio. €.
Und auch für 2018 läuft die Gewerbesteuer wieder erfreulich gut.
Aber die Folgen beider Ereignisse kennen Sie:
In 2012 brauchte mein Vorgänger an Schadensbegrenzung keinen Gedanken mehr zu verschwenden.
Im letzten Jahr konnten wir uns dagegen über einen verfrühten Haushaltsausgleich freuen – mehr als 30 Mio. Überschuss!
Aber die Höhen und Tiefen der kommunalen Finanzkraft bleiben eben nicht folgenlos, das habe ich bei der Einbringung des Jahresabschlusses 2017 bereits angedeutet, weil es für Gelsenkirchen und unseren Haushalt heute so wichtig ist:
Das Gemeindefinanzierungsgesetz setzt mit Schlüsselzuweisungen in der Lücke zwischen Finanzbedarf und Finanzkraft an- die Folge sind höhere Schlüsselzuweisungen beispielsweise bei Gewerbesteuereinbrüchen und niedrigere Schlüsselzuweisungen bei Gewerbesteuerboomjahren. Soweit so gut, aber leider hinkt das System nach.
Die positive Finanzentwicklung aus 2017 kostet uns in 2019 rechnerisch rund 50 Mio. € Schlüsselzuweisungen. Hinzu kommt der erste Schritt der Umsetzung von systemischen Änderungen in der GFG-Verteilung durch das sogenannte sofia-Gutachten; der ländliche Raum profitiert davon überproportional, Gelsenkirchen verliert dadurch noch einmal 11 Mio. €.
Zu unserem Glück stieg im gleichen Zuge auch die zu verteilende Masse der Landesmittel, so dass der Minderertrag bei den Schlüsselzuweisungen im Vergleich zu 2018 nicht 61, sondern „nur“ knapp 47 Mio. € beträgt.
47 Mio. € weniger Landesgeld in der Kasse für 2019.
So ein Schlag würde selbst strukturstarke Städte ganz schön ins Taumeln bringen.
Für Gelsenkirchen ist das ein umso härterer Schlag. Zum ersten Mal seit Jahren spüren wir wieder das Brummen der örtlichen Konjunktur in der Stadtkasse und dann-------?
Strategie der Selbsthilfe
Meine Damen und Herren,
der Haushaltsentwurf, der vor Ihnen auf Ihren Bänken liegt, weist ein Defizit von 28,5 Mio. € in 2019 aus, für 2020 ein Defizit von 10,8 Mio. €.
Mehr ließ sich einfach bei bestem Willen nicht machen.
Wir hätten natürlich mal eben die Einnahmeerwartung hoch setzen können – dann wären wir schnell fertig gewesen.
Dies aber zum jetzigen Zeitpunkt zu tun, wäre unseriös.
Was aber nicht heißt, dass wir bis Dezember nicht die Ertragslage insbesondere bei der Gewerbesteuer ganz genau beobachten werden! Vielleicht ergibt sich noch die eine oder andere Entwicklung, die uns ein bisschen hoffen lassen kann – ich füge hinzu: kann, muss nicht.
Wir werden sehen.
Wir setzen in diesem Entwurf stattdessen auf die Strategie der Selbsthilfe.
Natürlich sind wir nach wie vor als strukturschwache Stadt unterfinanziert – das lassen wir Land und Bund regelmäßig schon seit Jahren wissen.
Wir sind aktuell aber nicht der Hoffnung, dass zwischen heute und dem Haushaltsbeschluss im Dezember noch knapp 30 Mio. € aus Düsseldorf oder Berlin auf uns regnen.
Wir setzen bei diesem Haushalt zunächst auf unsere eigene Kraft. Wir können mit dem steuerstarken Jahr 2017 auf ein Jahresergebnis blicken, dass es uns ermöglicht, unsere Ausgleichsrücklage -einen Puffer, den man in guten Jahren füllt und aus dem man in schlechten Jahren entnimmt- aufzufüllen.
Meine Damen und Herren,
Stand heute reicht dieser Puffer aus, um das geplante Defizit 2019 zu kompensieren. Und es kommt noch besser, denn wir sind aktuell auch davon überzeugt, dass wir in 2018 einen höheren Überschuss erzielen als geplant und daraus eine weitere Zuführung in die Ausgleichsrücklage leisten können, die dann auch das geplante Defizit für 2020 kompensieren kann.
Dieser sogenannte fiktive Haushaltsausgleich über eine Entnahme aus der Ausgleichsrücklage ist als Instrument für den Haushaltsausgleich in der Gemeindeordnung auch explizit vorgesehen.
Gibt es also gar kein Problem, werden Sie jetzt fragen?
Leider gibt es da ein Problem…
Das Stärkungspaktgesetz verweist bei der Frage der Genehmigung des Sanierungsplans nur auf die allgemeine Definition des Haushaltsausgleichs in der Gemeindeordnung, die wir in § 75 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 finden.
Der fiktive Haushaltsausgleich über eine Entnahme aus der Ausgleichsrücklage ist in Satz 3 geregelt; ein Verweis auf diesen Satz fehlt im Stärkungspaktgesetz.
Wir gehen trotz dieses fehlenden Verweises davon aus, dass eine Verwertung unserer Ausgleichsrücklage rechtlich zulässig ist und ich sage Ihnen auch warum.
Die Finanzstärke 2017 kostet Gelsenkirchen bei den Schlüsselzuweisungen in 2019 fast 47 Mio. €. Sie bringt Gelsenkirchen aber auch einen hohen Überschuss für 2017, der uns die Bildung einer Ausgleichsrücklage ermöglicht.
Welcher Gesetzgeber würde bei diesem klaren Sachzusammenhang keine Verknüpfung beider Aspekte erlauben?
Wir reden ja nicht davon, dass wir das Geld aus unserer Ausgleichrücklage mit beiden Händen für neue Ausgabepositionen herauswerfen wollen; wir reden schlichtweg von der Kompensation erwartbar ausbleibender Landesmittel.
Wir reden von der Lebensrealität, dass man in guten Jahren etwas auf die hohe Kante legt, damit man in schlechten Jahren davon zehren kann.
Und dass muss doppelt gelten, wenn das Land mit der nachhinkenden GFG-Systematik überhaupt erst für den Anlass verantwortlich ist, dass wir so vom Kurs abkommen.
Alles andere wäre ja auch widersinnig – dann müssten wir für 2019 und 2020 im schlimmsten Fall die Steuerschraube anziehen und in 2021 wieder lockern…
Oder wir müssten bei dieser Größenordnung kommunale Leistungen für ein, zwei Jahre so massiv kürzen, dass mir –und ich war bereits über 15 Jahre Kämmerin– für konkrete Beispiele die Fantasie fehlt.
Sie fragen sich, warum ich auf dieser hanebüchenen Problematik rumreite, die jeder von uns aus dem hohlen Bauch schnell als absurd beiseiteschieben würde? Weil das zurzeit tatsächlich ein offener Diskurs zwischen Kommunalministerium und Kommunalaufsicht auf der einen und uns auf der anderen Seite ist.
Wir hoffen nicht, dass sich Münster und Düsseldorf wirklich an einen fehlenden Verweis im Gesetz klammern, den die Mütter und Väter des Stärkungspaktgesetzes meiner Meinung nach nur nicht gesetzt haben, weil fast überschuldete Stärkungspaktkommunen eben eines in der Regel nicht mehr haben: Eine gut gefüllte Ausgleichsrücklage zum Abfedern finanziellen Verwerfungen…
Wir sind mit unserer Diskussion erst am Anfang und ich will hier und heute nicht schwarzmalen, aber bisher hat sich bei unseren Gesprächspartnern noch nicht die Erkenntnis durchgesetzt, dass wir hier nicht Juristerei am Hochreck betreiben, die in der Praxis folgenlos bliebe. Wir reden über eine für uns im wahrsten Sinne existenzielle Frage: Dürfen Stärkungspaktkommunen die systembedingten Verwerfungen der Gemeindefinanzierung ausgleichen?
Bliebe das Land bei der Auffassung, droht uns die langfristige vorläufige Haushaltsführung –der Verlust unserer selbstbestimmten Handlungsfähigkeit in einer Zeit, in der wir so viele Baustellen anpacken wollen und müssen– denn wir haben aktuell keine realistische Alternative zum Haushaltsausgleich, als unsere Ausgleichsrücklage zu nutzen.
Ich hoffe, dass sich in den nächsten drei Monaten eine andere Lösung auftut. Sonst werden wir prüfen, ob wir unsere Rechtsauffassung auch gerichtlich durchsetzen wollen, um die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt vor verordneten Unzumutbarkeiten zu schützen.
Das, meine Damen und Herren, ist die wichtigste Botschaft, die ich Ihnen in Bezug auf den Haushaltsentwurf heute mitgeben möchte und das ist die große Herausforderung, bei der ich auf Ihre Unterstützung setze. Ich halte Sie auf dem Laufenden.
Ertrags- und Aufwandstruktur
Meine Damen und Herren,
nach der grundsätzlichen Baustelle noch einige Worte zur Ertrags- und Aufwandsstruktur im Haushaltsentwurf 2019.
Über die Ertragsseite brauche ich nicht lange zu reden, das Problem der massiv gesunkenen Schlüsselzuweisungen habe ich gerade hinreichend beschrieben, 321,8 Mio. € in 2019, fast 50 Mio. € weniger als in 2018…
Bei der Grund- und Gewerbesteuer rechnen wir unter Berücksichtigung der seit 2016 im HSP festgelegten Hebesatzanhebung 2019 um 130 Prozentpunkte aktuell mit Erträgen von 46,5 bzw. 112 Mio. €.
Unsere Ausgabenseite ist nach wie vor von den Transferaufwendungen geprägt, mit knapp 500 Mio. € weiterhin fast die Hälfte der Gesamtausgaben.
Dahinter stecken mit 205 Mio. € die klassischen Sozialtransfers, davon
- 120 Mio. € für Leistungen nach dem SGB II,
- 31 Mio. € für die Grundsicherung im Alter,
- 27 Mio. € für die Hilfe zur Pflege und
- 15 Mio. € für Hilfen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Ein nennenswerter Teil der Personal- und Sachkosten fällt ebenfalls im Kontext der Sozialtransfers an, denn es sind Menschen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Verwaltung, die jeden Tag aufs Neue dafür sorgen, dass diejenigen, die in dieser Stadt Hilfe benötigen, diese auch bekommen. Und weil das qualifizierte städtische Personal Garant für eine gute Aufgabenerledigung ist, setzen wir auch massiv auf Personalentwicklung um als Arbeitgeber auch weiterhin attraktiv und konkurrenzfähig zu sein.
Hinzu kommt mit 89,5 Mio. € -diese Zahl ist aufgrund der wirtschaftlichen Gesamtsituation glücklicherweise leicht gesunken- die Zahlung an den LWL, die über die Eingliederungshilfe insbesondere Menschen mit Behinderungen zugutekommt und
50 Mio. € für den Kinder- und Jugendbereich sowie 53 Mio. € für GeKita.
Der ÖPNV kostet uns in 2019 19,2 Mio. € Umlage an den VRR.
Meine Damen und Herren,
ich könnte jetzt noch bis tief in die Nacht Zahlen nennen, die das abbilden, was uns in dieser Stadt als kommunale Leistung lieb und teuer ist.
Aber das wissen Sie genauso gut, ja sogar besser als ich.
Lassen Sie mich daher langsam zum Schluss kommen.
Verantwortungsvolles Haushalten
An dieser Stelle gilt mein herzlicher Dank zunächst den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung, die mit viel Engagement an diesem Haushaltsentwurf gearbeitet haben.
Ich denke wir haben das richtige Maß an Verantwortung, Realität und Kreativität bei der Planung gefunden.
Wenn, und darauf hoffe ich, dazu noch etwas Einsicht und Entgegenkommen der Aufsichtsbehörden kommt, dann sind wir in Gelsenkirchen weiterhin auf einem guten Weg.
Natürlich gehen wir nicht ohne finanzielle Risiken in die Zukunft – aber das sind wir ja mittlerweile schon gewohnt. Flüchtlingsfinanzierung, aufgabengerechte Finanzausstattung, alle diese Aspekte muss ich hier nicht wiederholen.
Wir setzen immer noch darauf, dass Bund und Land Verantwortung für die kommunale Ebene nicht nur in vollmundigen Ankündigungen, sondern auch in greifbaren finanziellen Hilfen ausdrücken können.
Wie faire und verantwortungsvolle Mittelverteilung in der Praxis aussieht, kann sich in diesem Jahr übrigens wieder jeder hier vor Ort bei unseren Bürgerinnen und Bürgern abschauen – bei der zweiten Auflage unserer Bezirksforen.
Aber wir müssen auch selbst verantwortungsvoll haushalten, auch wenn wir jedes Jahr etliches finden können, für das wir gerne mehr Geld bereitstellen möchten.
Meine Damen und Herren,
ich wünsche Ihnen und uns erfolgreiche, konstruktive Haushaltsberatungen. Ich freue mich darauf.
Vielen Dank.