07. Oktober 2016, 11:15 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
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- Kolumne von Oberbürgermeister Frank Baranowski -
Liebe Gelsenkirchenerinnen, liebe Gelsenkirchener!
Es ist schon lange her, fünf Jahrzehnte, doch verblasst ist die Erinnerung nicht. Nein, vergessen lässt sich das dramatische Ende der Zeche Graf Bismarck im Herbst 1966 nicht, denn es war tatsächlich eine Zäsur, ein Wendepunkt unserer Stadt- und der Regionalgeschichte. Und für mich lenkt dieser Jahrestag natürlich auch den Blick auf die langen Linien – und auf die Frage: Wo stehen wir heute, 50 Jahre später?
Ein rentables und kurz zuvor sogar noch einmal für viel Geld modernisiertes Werk soll geschlossen werden: Das konnten die Gelsenkirchener 1966 nicht verstehen, völlig zu Recht protestierten viele tausende dagegen. Zumal dieser Entscheidung gravierende Folgen hatte: Die Existenz vieler Menschen stand auf dem Spiel, auf einem Schlag gingen 6.700 Arbeitsplätze verloren. Heute wissen wir zudem, dass dieser Moment ein entscheidender Wendepunkt war: Nach dem Abschied von Graf Bismarck wurde der Strukturwandel unumkehrbar. Die Entwicklung führte von nun an weg von der Kohle, mit allen Konsequenzen.
In Gelsenkirchen sind allein in den Branchen Kohle und Stahl insgesamt rund 80.000 Arbeitsplätze weggebrochen. Eine enorme Zahl, die deutlich macht: Es ging zunächst um die wirtschaftliche Existenz vieler Menschen und Familien, was schlimm genug war. Aber ab einem gewissen Punkt ging es um mehr. Es ging auch um die Existenz der ganzen Stadt. Vielleicht sollte man diese Zahl – 80.000 – häufiger mal wiederholen, um fassbar zu machen, wo wir herkommen.
Nicht viele Städte und Regionen hätten einen solchen Umbruch überlebt. Man muss sich ja nur mal Bilder anschauen, wie es heute in der einstigen Auto-Stadt Detroit aussieht. Oder in den früheren Stahlstädten der USA. Wer unzufrieden ist mit dem Verlauf des Strukturwandels oder mit dem Finger auf das Ruhrgebiet zeigt, weil es bei manchen Statistiken hinter anderen Regionen zurücksteht – der sollte das mit berücksichtigen.
In der Tat war es viel Arbeit, nach einem solchen Umbruch wieder eine Zukunft aufzubauen. Das wissen wir alle. Aber wir spüren, sehen und erleben Tag für Tag auch etwas Anderes – dass diese Stadt sich längst berappelt hat. Und da fügt es sich sehr schön, dass wir heute, genau 50 Jahre später, in Gelsenkirchen wieder über Graf Bismarck reden, nun allerdings über ein neues Stadtquartier, das dort entsteht, wo früher das Kraftwerk der Zeche stand. Unternehmen und Familien siedeln sich hier an, zwischen Wald und Wasser, an einem Kanalufer, das nicht mehr abgesperrt ist, sondern ein reizvolles Gebiet für Spaziergänger, Radfahrer und Ruderer bietet. Keine Frage: Das ist ein Ort, der für viel Lebensqualität steht.
Schritt für Schritt haben wir – nicht nur an dieser Stelle – unsere Stadt erneuert und die Wirtschaftsstruktur umgebaut. Heute dominieren nicht mehr Großbetriebe wie Graf Bismarck, sondern viele kleine Unternehmen. Die Arbeitslosenquote, die nach 1966 angestiegen ist, sehr lange und viel zu stark, hat schließlich einen neuen Wendepunkt erreicht. Seit 2005 sinkt sie wieder, wobei diese Bewegung zugegebenermaßen zuletzt leider recht zäh geworden ist.
Es ist nicht gerade einfach, in einer wachsenden Stadt die Zahl der Erwerbslosen zu senken. Auch diese Aufgabe wird uns noch einen langen Atem abverlangen. Aber dass aus Graf Bismarck, aus diesem Symbolort der Gelsenkirchener Stadtgeschichte, 50 Jahre später eines der attraktivsten Zukunftsquartiere des Reviers geworden ist – das ist ein Zeichen, das uns bei der Bewältigung aller neuen Aufgaben weiter Mut machen sollte.