Konzert, 07. November 2021, 17:00 Uhr, Neue Synagoge Gelsenkirchen
„Brücken“ zu schlagen zwischen den vielen Facetten jüdisch-deutscher Musik, zwischen der aus Deutschland emigrierten und ins Nachkriegs-Deutschland zurückgekehrten ebenso wie zwischen der neueren israelischen und deutschen Musik, – das erscheint als eine wichtige Aufgabe heute lebender deutscher Interpreten. Sie sind sich der historischen Verantwortung bewusst und wagen es zudem, sich den damit verbundenen vielfältigen stilistischen Herausforderungen zu stellen. Gerade der konzertierende Pianist kann dabei aus einer Fülle von Stücken jüdischer Komponisten wählen, die in der (Klavier)Musikgeschichte der letzten 200 Jahre eine oft unterschätzte, immer aber unverwechselbare Rolle gespielt haben. Ganz in diesem Sinn hat der Pianist Rainer Maria Klaas das Programm für sein Klavier-Recital in der Gelsenkirchener Synagoge zusammengestellt, das neben Kompositionen Ferdinand Hillers („Huit mésures variées, op. 57) und Charles Valentin Alkans („Le Festin d'Esope“, op. 39.12) ausschließlich Werke des 20. Jahrhunderts präsentiert. Auch zwei aus Gelsenkirchen stammende und nach Palästina emigrierte jüdische Komponisten sind mit ihren Werken vertreten.
Ben-Zion Orgad, am 21. August 1926 unter dem Namen Büschel in Gelsenkirchen geboren, emigrierte bereits siebenjährig mit seiner Familie nach Palästina und entging damit dem Schicksal seines Onkels Josef Büschel, der im KZ Auschwitz ermordet wurde. Er wurde als Geiger ausgebildet und nahm Kompositionsunterricht bei Paul Ben-Haim in Tel Aviv, Josef Tal in Jerusalem sowie in Kursen im amerikanischen Tanglewood, u. a. bei Aaron Copland. Seit 1956 im israelischen Kultusministerium für Schulmusik zuständig, schuf er zahlreiche Vokalwerke, eine Sinfonie Hazwi Israel und Kammermusik; auch als Übersetzer von Gedichten Paul Celans ins Iwrith ist er hervorgetreten. Er bekannte sich zum Einfluss der jüdischen Kantillationspraxis auf Melodik wie Harmonik seiner Musiksprache. Seine Tone-Alleys wurden 2001 vom 10. Arthur-Rubinstein-Wettbewerb in Jerusalem als Pflichtstück ausgewählt. Orgad verstarb am 28. April 2006 in Tel Aviv.
Zvi Nagan, eigentlich Herbert Neugarten, wurde 1912 in Buer, heute Gelsenkirchen, geboren. Vermutlich Anfang der 1920er Jahre verließ die Familie Gelsenkirchen. Ausgebildet in Violine, Viola und Kontrabass, kam er 1937 nach Palästina, wo er den Zvi Nagan annahm und seine Studien bei Paul Ben-Haim, Joseph Kaminski und Josef Tal fortsetzte. Er schuf Chorwerke, pädagogische Stücke für Melodieinstrumente und Kammermusik. Sein 1976 erschienenes Satzpaar Come Preludio – Come Rondino ist eines seiner wenigen Klavierwerke – äußerst knapp, fast spröde in der Diktion, aber mit lebendiger Tempogestaltung. Nagan starb 1986 in Tel Aviv.
Aus der Nachbarstadt Herne ist der Komponist Moisei Boroda (*1947) vertreten. Gebürtig aus Georgien, kam er 1989 nach Deutschland und lebt heute als Komponist, Schriftsteller und Kulturorganisator in Herne. Er ist Mitglied der Jüdischen Gemeinde Bochum-Herne-Hattingen. Zur Uraufführung kommt seine Klaviersolo-Fassung seines Werkes „El male rachamin“ („Gott des Erbarmens“). Es greift ein mittelalterliches jüdisches Gebet auf, das heute bei Bestattungen und Gedenkfeiern insbesondere für die Opfer der Schoa gesprochen/gesunden wird.
Programmfolge:
Ferdinand Hiller (1811 - 1885): Huit mésures variées op. 57 (1853), Charles-Valentin Alkan gewidmet
Ben-Zion Orgad (1926 - 2006): Tone-Alleys (1999)
Stefan Wolpe (1902 - 1972): Sechs Klavierstücke (1920-1929)
Gilead Mishory (*1960): Fünf Momente (2001)
– Pause –
Moisei Boroda (*1947): El male rahamim. Fassung für Klavier (2021), Uraufführung
Samuel Adler (*1928): Four Choreographies (2017)
Zvi-Herbert Nagan (1912 - 1986): Come Preludio – Come Rondino (1972)
Charles-Valentin Alkan (1813 - 1888) : Le Festin d’Esope. Variationen op. 39.12 (1857)
Rainer Maria Klaas, Klavier
Zum Jahr 2021, das bundesweit „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ thematisiert, leistet der Veranstaltungszyklus „Wie sich die Zeit verzweigt“ (Paul Celan) einen Beitrag mit sieben verschiedenen Programmen, die deutsch-jüdisches Komponieren und Dichten in bekannten, aber auch vielen neuen und neu zusammengestellten Aspekten beleuchten. Mit einer Verankerung im 19. Jahrhundert – Felix Mendelssohn, Ferdinand Hiller und Gustav Mahler – wirft der Zyklus historische Schlaglichter auf die kulturellen Epochen vor dem Ersten Weltkrieg, zwischen den Kriegen und nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die heutige Zeit. Jüdische Dichterinnen und Dichter wie Nelly Sachs, Paul Celan, Yvan Goll oder Stefan Zweig sind in Sprachtext oder Vertonung ebenso vertreten wie Komponistinnen und Komponisten von Arnold Schönberg über Hanns Eisler, Kurt Weill, Stefan Wolpe, Berthold Goldschmidt bis zu Ursula Mamlok, Zvi Avni, Sidney Corbett oder Gilead Mishory. Die in Gelsenkirchen geborenen und später nach Palästina ausgewanderten Komponisten Ben-Zion Orgad und Zvi-Herbert Nagan spielen dabei eine besondere regionale Rolle. Auch zeitgenössische nicht-jüdische Komponisten wie Michael Denhoff, Wolfgang Rihm, Stefan Heucke oder Michael Em Walter tragen mit Vertonungen jüdischer Autorinnen und Autoren zum Gesamtbild bei.
Die musikalisch-literarische Konzertreihe ist ein Gemeinschaftsprojekt des Kulturraum „die flora“ der Stadt Gelsenkirchen in Kooperation mit der Stadt Recklinghausen/Fachbereich Kultur, der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen, der Jüdischen Gemeinde Bochum-Herne-Hattingen, dem Freundeskreis Synagoge Bochum-Herne-Hattingen e. V. und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Kreis Recklinghausen e. V.
Mit Unterstützung durch die LWL-Kulturstiftung
Eine Veranstaltung im Rahmen des Festjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“.
Für den Zugang zur Veranstaltung gelten bis auf weiteres die 3 „G`s“:
• Geimpft mind. 14 Tage nach abgeschlossener Immunisierung
• Genesen mind. 28 Tage nach Erkrankungsende
• Getestet tagesaktueller Negativtest
Bitte legen Sie beim Eintritt die entsprechenden Nachweise vor!
Bitte informieren Sie sich auf der Homepage über den tagesaktuellen Stand.
Veranstalter: Jüdische Gemeinde Gelsenkirchen in Kooperation mit dem Kulturraum „die flora“ der Stadt Gelsenkir-chen, der Stadt Recklinghausen/Fachbereich Kultur, der Jüdischen Gemeinde Bochum-Herne-Hattingen, dem Freundeskreis Synagoge Bochum-Herne-Hattingen e. V. und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Kreis Recklinghausen e. V.
Eintritt: 14,00 €, ermäßigt 10,00 € (Schüler/innen, Studierende, Auszubildende, GE-Passinhaber/innen, Ehrenamtskarten-Inhaber/innen). Begleitpersonen von Schwerbehinderten haben freien Eintritt.
Reservierung per Mail an info@jg-ge.de . Eine vorherige Reservierung ist zwingend erforderlich.