„Mit dieser Geschichte können wir begeistern“
Dr. Marie Mense, VIVAWEST-Pressesprecherin und Geschäftsführerin der Nordsternturm GmbH, im Interview über die Ausstellung „Wandel is immer“ im Nordsternturm
11. Juli 2017, 08:00 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
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Dr. Marie Mense erläuterte im Interview Hintergründiges zur Ausstellung "Wandel is immer".
Bildrechte: Caroline Seidel
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Wer die Ausstellung betritt, blickt als erstes auf die riesige Fördermaschine.
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"Revier" ist eine der Ebenen der Ausstellung überschrieben. Insgesamt sind es sechs Ebenen.
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"Dönekes" aus dem Bergbau aber auch Hintergründiges gibt es zu sehen und zu hören.
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Künstlerische Auseinandersetzungen mit den Themen Bergabu und Strukturwandel vermitteln etwas andere Einblicke in die Themen.
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Interviews mit Menschen, die "auf Kohle" geboren wurden, Erinnerungen an Grubenunglücke oder auch ein Stadtfilm aus dem Jahr 1955 - auf 16 Monitoren gibt viele Geschichten zu hören und zu sehen.
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Monitore mal anders: Ein Bodenmonitor zeigt ein Luftbild von Nordstern.
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Die Installation "Duldungsmühle" zeigt, welche Hürden es bei der Integration bei ganz alltäglichen Dingen geben kann.
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Sechs Faxgeräte mit Grüßen aus den Gelsenkirchener Partnerstädten.
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Eine Fotostrecke erinnert an die ersten sogenannten Gastarbeiter auf Nordstern.
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Wie kam es zu der Ausstellung „Wandel is immer“?
Wir hatten über mehrere Jahre wechselnde Videokunstausstellungen, die auch sehr gut in diese besondere Kulisse passten. Leider mussten wir aber auch feststellen, dass sich Videokunst häufig nicht selbst erklärt und nicht so viel Publikum anlockt, wie erhofft.
Im Jahr 2015 wurde dann erstmals darüber nachgedacht, die Videokunst durch eine andere Dauerausstellung abzulösen. Wichtig bei unseren Überlegungen war die Frage: Welche Erfahrungen haben wir eigentlich bisher mit den Gästen gemacht, die Nordstern besucht haben? Alle, wirklich ausnahmslos, sind begeistert von der Geschichte, wie sich dieses ehemalige Zechengelände entwickelt hat. Da spielt es keine Rolle, ob sie wegen der Bergbaugeschichte oder wegen des Ausblicks von der Besucherterrasse gekommen sind.
Mit dieser Geschichte können wir begeistern. Wenn wir diese Geschichte erzählen, blicken wir in leuchtende Augen. Dann muss es doch eigentlich auch Thema der Dauerausstellung anderer Art sein, wenn es die Menschen so sehr interessiert, egal ob sie aus München, Tokio oder aus Gelsenkirchen kommen. Wir waren uns schnell einig, den Transformationsprozess selbst zum Thema zu machen. Bei der Suche nach einem Titel sind wir schnell bei „Wandel is immer" gelandet, auch wenn es eine gleichnamige Ausstellung im Hans-Sachs-Haus gibt, aber das passt nun mal. Und diesen Wandel, den können wir ganz authentisch dokumentieren und zeigen, dass es weitergeht. Es ist eine Erfolgsgeschichte des Strukturwandels, die anhält.
Die Idee zu haben, ist das eine, aber wie wurde aus der Idee eine Ausstellung?
Schon bei der ExtraSchicht 2010 hatten wir die Idee, den Strukturwandel, die Veränderung des Geländes zum Thema zu machen. Dazu hatten wir eine Dramaturgie in mehreren Akten entwickelt, in die wir den noch nicht ganz fertiggestellten Nordsternturm einbezogen hatten. Daran anknüpfend entwickelte sich die Grundidee für die Ausstellung, also sich vom Bergbau ausgehend in die Gegenwart mit all den Veränderungen vorzuarbeiten. Und in etwa so ist die Ausstellung ja nun auch aufgebaut. Sie beginnt vor der Fördermaschine, thematisier mit unterschiedlichen Aspekten den Kohleabbau, die Bundesgartenschau 1997 und natürlich auch den Emscherumbau. Ja, und es geht auch um Identitäten wie sie etwa mit dem Tannenbaum auf Nordstern, aber auch mit dem Herkules verbunden werden.
Dann gingen die ersten Recherchen los, aber auch Fragen mussten geklärt wie: Wer kuratiert die Ausstellung? Eigentlich sind wir selbst die Expertinnen und Experten, aber wir haben darüber hinaus VIVAWEST zu Rate gezogen und darüber hinaus auch eine unserer Gästeführerinnen zu Rate gezogen. Sie kennen sich bestens bei Fragen zur Industriekultur, zur Bergbaugeschichte, aber auch zur Fördertechnik aus. Unsere Experten, die sowohl von der künstlerischen wie von der medientechnischen Seite ab 2012 die Videokunstausstellungen aufgezogen haben, waren ebenfalls dabei. Gerade in der technischen Umsetzung steckt viel Feinarbeit, das ist hochprofessionell. Im Team, das diese Ausstellung konzipiert hat, haben wir uns aber auch gefragt, ob wir nicht zu tief in dem verhaftet sind, was man bisher gemacht hat. Wir haben uns dann schließlich von Studierenden der Heinrich-Heine-Universität beraten lassen. Dort gibt es einen Studiengang, der sich mit Kunstvermittlung beschäftigt. Sie haben zum Beispiel Ideen eingebracht wie ein Graffito in die Ausstellung einzubinden oder eine Installation mit Faxgeräten.
In der Ausstellung gibt es sehr viele authentische Stimmen von Menschen aus der Region. Wie haben Sie die Menschen gewinnen können?
Wir hatten und haben ja viele Kontakte in der Stadt und in der Region. Es ergaben sich aber auch Synergien mit einem Projekt im Rahmen der Kampagne Glückauf Zukunft, wo Menschen aus dem Bergbau befragt wurden. Das ist natürlich toll, wenn solche Zeitzeugenaussagen auf Video festgehalten werden. Das ist wie geschaffen für uns, und umgekehrt können wir den Videos ein Forum bieten. Uns ging es natürlich vor allem um Akteure hier vor Ort wie Reinhold Adam oder Elisabeth Wolter. Das ist total spannend.
Wenn wir wollen, dass sich die Menschen die Ausstellung ansehen, dann müssen wir sie auch mitmachen lassen. Wie zum Beispiel zwei Gelsenkirchener Schulen, die sich mit Videoarbeiten eingebracht haben. Aber auch thematisch muss man sich öffnen und zum Beispiel das Thema Integration aus unterschiedlichen Blickwinkel und auch künstlerisch inspiriert aufgreifen.
Wie sind denn die Reaktionen auf die neue Ausstellung?
Noch hatten wir nicht so viele Besuchergruppen, die Ausstellung läuft ja erst seit April. Aber wie gesagt, der Wandel hat schon eine große Faszination.
Witzig war eine Gruppe von sechsjährigen Kindern. Da war die Skepsis erst groß, ob wir sie bei einem Ausstellungsrundgang über eine Stunde lang bei der Stange halten können. Für sie war das Top-Thema der Herkules. Klar, auch das Puzzle der Raupe Valentin und das mit dem Wimmelbild des Nordsternparks haben sie begeistert. Aber immer wieder kam die Frage, wann denn der Herkules kommt. Wie der entstanden ist und wie der eigentlich da oben raufgekommen ist, wollten sie wissen. Für ein Foto neben dem Pappaufsteller des Herkules posen, das wollten auch alle. Ob sie ihn nun schön oder doch wahrscheinlich eher hässlich finden, das ist egal, spannend ist er allemal. So geht es ja auch vielen Erwachsenen, die extra wegen des Herkules kommen, um ihn mal von Nahem zu sehen. Er entfacht dann immer wieder Diskussionen, aber das ist auch genau so gewollt.
Sie kommen nicht aus dem Ruhrgebiet, sind aber nun schon seit 1998 hier. Können Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit dem Ruhrgebiet erinnern?
Ich bin im Rheinland geboren, und meine erste Begegnung mit dem Ruhrgebiet war eine Zeche. Wie Nordstern ist es auch eine von dem Architekten Fritz Schupp errichtete, nämlich Zollverein in Essen. Auf Empfehlung eines Professors hatte ich eine Kommilitonin angerufen, die irgendwas auf einer alten Zeche für eine Stiftung machen würde und Unterstützung bräuchte.
Dann stand ich auf dem Dach der Kohlenwäsche und sah diese gigantische Maschinerie, diese gigantische Industriearchitektur. Da habe ich zum ersten Mal bemerkt, wie beeindruckend, schön und auch repräsentativ diese Industriekulisse ist, die man sonst doch eher mit Hässlichkeit und Dreck verbindet.
Im Jahr 2002 wechselte ich dann zum VIVAWEST Vorgänger THS und stand wieder vor einer Zeche. Eine, die damals im Umbau war. In meinem Kopf war der Gedanke, dass es ein Spielort ist, den man zeigen und inszenieren muss. Ich wähle diese Begriffe, weil ich von Haus aus angewandte Theaterwissenschaftlerin bin, und dieser Gedanke, der war sofort in meinem Kopf. Dieser Standort und der Nordsternturm, sind ein ganz, ganz großes Steckenpferd von mir, auch wenn ich hauptsächlich Unternehmenskommunikation mache. Ich habe es aber immer als Teil meiner Arbeit verstanden, Gäste über das Areal zu führen und die die umgenutzten Zechengebäude zu zeigen. Hier ist zu sehen, aus welcher Tradition wir kommen und auch welches Know How wir im Bauen haben, wie wandlungsfähig und modern wir sind. Das ist beides abzulesen. Es nicht für die Unternehmenskommunikation zu nutzen, wäre dumm. Ich bin sehr froh, dass wir den Nordsternturm nun auch stärker als VIVAWEST-Projekt platzieren.
Was fasziniert Sie persönlich am meisten in der Ausstellung?
Es gibt Exponate, mit denen bin ich emotional stärker verbunden als mit anderen. Zum Herkules habe ich durchaus eine besondere Beziehung, weil ich seine Entstehung von A bis Z mit verfolgt habe. Vom Modell über die Abgüsse bis hin zum Schwertransport, das Justieren der Figur und all diese Dinge.
Die letzte Frage bittet um einen Ausblick in die Zukunft. „Wandel is immer“ - diese Ausstellung wird funktionieren und angenommen werden?
Das ist unsere große Hoffnung. Vielleicht ist nicht alles für alle gleichermaßen interessant, aber ich denke, es gibt genügend Stellen, Objekte oder Filme, die die Menschen interessieren werden. Es ist unser Anspruch und unsere Hoffnung, dass sich die Besucherzahlen positiv entwickeln, weil diese Ausstellung einfach mehr mit den Menschen und diesem Ort zu tun hat. Beim Fest 20 Jahre BUGA hatten wir täglich mehr als 1.000 Besucherinnen und Besucher.